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Der sonntaz-Streit„Ein Luxusproblem“

Frühe Förderung erspart den Kindern später mühevolles Lernen, glauben manche. Das stimmt nicht, entgegnen andere: Kinder brauchen eine Kindheit.

Noch Spiel oder schon Frühförderung? Bild: ap

„Kinder können nicht genug gefördert werden“, sagt Claudia Theißen, Vorsitzende des Fördervereins der BIP-Privatschule (Begabung, Intelligenz und Persönlichkeit) im aktuellen sonntaz-Streit. „Wie soll sonst ein Kind Erfahrungen machen und entdecken, was ihm Spaß macht und wo es Talent hat?“

Am 1. Juni ist Internationaler Kindertag. Doch wie viel ist von der Kindheit noch übrig? Wir wollen immer höher hinaus, doch immer tiefer sind die Einschnitte, die für Erfolge in Kauf genommen werden. Klavierunterricht, Kampfsport und Kunstkurse - manche Kinder haben vollere Terminkalender als ihre Eltern.

„Die Frühförderungshysterie basiert auf der fälschlichen Behauptung, nur in den ersten Lebensjahren seien im Gehirn Fenster zur Aufnahme von Wissen offen“, sagt der Pädagoge Salman Ansari. Besondere Verwirrung habe der Begriff „Kind als Forscher“ verursacht. Die Wege kindlichen Erforschens haben mit den Strategien Erwachsener nichts gemein. Jedes Geschehen, in das man sich nicht emotional-kreativ einbringe, hinterlasse keine Verknüpfungen im Gehirn. Dies allerdings sei bei vielen Frühförderungsprogrammen der Fall.

Diesen Text lesen Sie in der taz.am wochenende vom 1./2. Juni 2013. Darin außerdem: Die Titelgeschichte „Die neuen Habenichtse“ über Internetunternehmer, die das Zeitalter des Haben-Wollens überwinden wollen. Die Affenforscherin Jane Goodall über die Ähnlichkeit von Menschen und Schimpansen. Und: Wie ein Islamist mit einem Telefonstreich den größten Terroralarm seit der RAF auslöste. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.

„Kinder wollen lernen, sie bringen alle Fähigkeiten dazu mit“, sagt Marie-Luise Lewicki, Chefredakteurin der Zeitschrift „Eltern“. Gehe es jedoch bei Förderung um einen Sprint ins Karriereleben, führe das mitunter dazu, daß Kinder sich nicht mehr selbst beschäftigen könnten. „Solange Förderung Spaß macht, kann nichts schiefgehen.“

Dass Eltern ihr schlechtes Gewissen mit Fahrdiensten zu Förderangeboten kompensierten, hält Raimund Geene für ein Luxusproblem. „Viele wachsen in armen, kinderreichen Familien auf“, sagt der Professor für Kindergesundheit der Hochschule Magdeburg/Stendal. Empirisch sei die vorgeworfene Überförderung daher kaum zu belegen.

„Kinder wollen die Welt verstehen“, sagt Peter Rösner, Vorstandsvorsitzender der Stiftung „Haus der kleinen Forscher“. Was aber, wenn nicht mal die Erwachsenen sie ausreichend verstanden haben?

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11 Kommentare

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  • C
    claudi

    03.06.2013 09:31 UHR

    von Schmidt Georg:

     

    Ich bin auch dafür Kinder früh zu fördern und auch zu fordern, dafür gibt es Kitas und Vorschulen, viele sogar ganztags weil die Eltern arbeiten. Bin aber auch der Ansicht, das Kinder noch Zeit zum Spielen haben müssen. Spätestens wenn sie in die 1 Klasse kommen ist es damit vorbei und dann wird gefordert, leider kaum noch gefördert weil a der Staat kein Geld hat und viele Eltern auch nicht und b nicht alle Eltern Studierte sind die ihre Kinder selbst fördern könnten.

     

    Das die Leute in Indonesien nur in Gruppen funktionieren liegt daran, weil sie so aufwachsen müssen.

     

    Dort gibt es mit Sicherheit kein Mobbing unter den Schulkindern, weil dort kaum ein Kind ein Handy haben dürfte, schon gar nicht in der Schule, wo dann nebenbei gesimst wird, und weil dort die Kinder nicht dem Modediktat unterworfen sind, oder die Kinder mehr in der Shoppinmaile unterwegs sind als vor ihren Schulbüchern, und weil es Schuluniformen gibt. Während hier die Ansicht vertreten ist, je teurer die Markenkleidung desto wertvoller sei ein Mensch.

     

    Die Kinder in Indonesien lernen eine ganz andere Einstellung was es bedeutet in die Schule gehen zu DÜRFEN, nicht wie bei uns zu müssen.

     

    Ich kann mir auch nicht vorstellen, das die indon. Kinder so respektlos den Lehrern begegnen wie hier bei uns.

     

    Bei uns ist es doch viel wichtiger zu protzen, statt zu klotzen.

  • B
    Bertram

    @Schmidt Georg Daher also die oftmals beklagte Unkreativität und Uninnovativität einiger asiatischer Staaten? Ich würde mein Kind schnell von so einer zwangssystemischen Schule nehmen.

  • TE
    Thomas Ebert

    Frühe Förderung, was ist das eigentlich? Der Ballettunterricht mit 3 Jahren, oder Englisch ab 5? Oder ist es doch mehr das gemeinsame Spielen mit Kindern unterschiedlichen Alters?

    Meine Kinder haben Kita, geregelten Tagesablauf incl. vorgelesener Gute-Nacht-Geschichte und geduldige,liebevolle Eltern erlebt. Mehr brauchte es zur Entwicklung gesunder Persönlichkeiten nicht. Sport, Musik, Sprachen usw. sind sehr wichtige Dinge. Hier den Kindern Angebote zu machen ist sicher richtig, aber eben Angebote und nicht gehasste Pflichttermine. Wer dem Kind die Zeit nimmt sich zu langweilen, der nimmt ihm wirklich die Kindheit. Langeweile ist die Mutter der Kreativität.

    Wichtig im frühen Kindesalter ist nicht das Lernen von speziellen Dingen, diese sind eigentlich vollständig irrelevant. Wichtig ist es, die Freude am Lernen zu unterstützen und Wege des Wissenserwerbs zu weisen.

  • SG
    Schmidt Georg

    übern Daumen gepeilt-beträgt die Anwesenheit in deutschen Grundschulen c 180min +/-, in der asatische Scule meines Sohnes 330 min Lernen!

  • SG
    Schmidt Georg

    diese Mär von den Tiger Paukschulen lässt sich wohl nicht ausräumen, meine Kinder gingen in indonesische Schulen( karangturi.com) das Dummen in den vier Jahren fiel keine Stunde aus, nicht wegen Lehrerkrankheit oder Lehrerkonfernzen, das Unterricht gegann um 7 Uhr, das war der Stress, und endete 13.30, obwohl die Klasse, zB meines Sohnes mit 36 Schüler für deutsche Verhältnisse ziemlcih gross war, die Klassenräume eher klein waren, wurde der Lernstoff von meist Lehrerinnen und man staune, die keine so hochqualifitieren, pädagogischen Lehrkräfte wie in D waren, sehr gut vermittelt, das Resultat. mein Sohn kam nach D und war den Grundschülern meilenweit voraus, 10Finder print-er schrieb dann für die Lehrerin gewissen Arbeiten, leider versumpfte sein Vorsprung wegen den kindlichen Lehrmethoden in D, der sogenannte Leistungsdruck, den man den asiatischen Schulen nachsagt, verschwand, jetzt heisst es nur noch: naja, das reicht, mehr brauch ich nicht machen! ich musste aus gewissen Gründen wieder nach D, hätte es gerne gesehen, wenn meine Kinder dageblieben wären, aber dei Restfamilie wollte mit-das einzige, wqas wir den Asiaten voraushaben-dass wir einzeln und kreativ sind und selbstständig handeln können-Asiaten sich nur in Gruppen handlungsfähig, aber halt wie lange noch!?

  • CS
    Ciao Schesku

    @MaterialismusAlter: geiler Kommentar! Habe mich echt schlappgelacht! Allerdings - ich finde schon, dass in Deutschland - gerade unter den Bessergestellten - eine kranke Einstellung vorherrschend ist, die zwischen: Chinesisch ab 3 und Babyyoga einerseits und Kuschelpädagogik, bei der Kinder vor allem bespaßt und den Lernstoff "im Gefühl" haben sollen, andererseits hin- und herpendelt. Für manche ist halt Mathe der reine Horror, für andere ist es Rechtschreibung. Trotzdem muss man sich wenigstens Basiskenntnisse in beidem aneignen, um irgendwie in unserer Gesellschaft so wie sie nun einmal ist, klarzukommen. Und den "Satz des Pythagoras" hat niemand "im Gefühl", genauso wenig wie englische Vokabeln. Das muss man sich halt leider einfach mal reinpauken. Es muss ja nicht immer mit dem Rohrstock sein....

    Zur Beruhigung an alle, die Angst vor dem Globalisierungsdruck haben: In einen Kinderkopf geht zwar eine Menge 'rein, aber nicht unendlich viel - auch nicht in chinesische oder rumänische Kinderköpfe (obwohl die andererseits auch sehr kreativ sein können - Das ist beileibe kein deutscher "Wettbewerbsvorteil"!). Vielleicht könnte man hierzulande ja einfach mal weniger Geld & Energie in Kinderunis und ähnlichem Blödsinn verplempern, der vor allem eine Public-Relations-Aktion für Elite-Unis und solche, die es gern wären, ist, ansonsten nix bringt und wenn doch, dann höchstens Kindern aus sog. "bildungsnahen" Familien. Mehr Lehrer einstellen, kleinere Klassen, Schulen gut ausstatten und wenn nötig Nachhilfe in Deutsch sind - glaube ich - "klassische" aber ziemlich effiziente Rezepte, um "Bildungsnotstand" und "Fachkräftemangel" zu begegnen. Dann können Kinder auch Nachmittags zum Sport gehen oder vor dem Computer herumdaddeln ohne dass irgendwer befürchten muss, uns ginge die intellektuelle Zukunft verloren....

  • H
    Hilde

    zum Kommentar von "MaterialismusAlter":

     

    Ich kann nur hoffen, das dies ironisch gemeint ist!!!

     

    Wir sind (zum Glück!) kein Land der "Tiger", und auch ohne eine solche Kinderfrühtrimmung international konkurrenzfähig! Auch die vielgeschmähte "linke" bzw. "68ger"-Generation bzw. deren Erfahrungen und EInflüsse auf unsere (jetzige) Gesellschaft tragen mit dazu bei! Ich bin übrigens sicher, dass solche "Kulturphasen" auch in den "Tigerstaaten" in irgendeiner Form noch kommen werden! Insofern kann ich Forderungen ala "MaterialismusAlter" nur als Rückschritt ansehen! (Vom unsäglichen Nationengeschwafel mal ganz abgesehen!!!) Insofern sollten wir uns auf unsere eigenen Stärken besinnen! Denn noch kommen viele Innovationen und Entwicklungen auch von uns - die von einigen scheinbar als Vorbild auserkorenen "Tigerstaaten" verdanken ihren Erfolg vor allem auch dem "Aufbauen" auf bzw. dem "Nutzen" von "unseren" Innovationen! Daher sollten wir nicht vorrangig Wissen und pure Fähigkeiten an unsere Kinder herantragen, sondern ihnen (auch und vor allem) die Möglichkeit geben, Kreativität zu entwickeln! Und Krativität braucht Muße - und nicht Beschäftigung (was erwiesen ist)!

     

    PS: Endes "MOMO" sollte zum Pflichtprogramm nicht für die Kinder, sondern für alle Erwachsenen mit Verantowrtung für Kinder werden - das schließt Eltern mit ein!

  • M
    MaterialismusAlter

    Deutschland - die Bürgerinnen und Bürger - müssen begreifen, dass diese jahrelange Hängematte, die sich bereits unsere Kleinsten in den ersten 5 Lebensjahren gönnen nicht mehr länger tragbar ist.

    Ich finde es im Sinne der Generationengerechtigkeit unverantwortlich, einerseits das Renteneintrittsalter zu erhöhen, während am anderen Ende des Erwerbslebens Kinder keine Zugeständnisse machen müssen. Es ist völlig zumutbar, wenn ein 4 jähriger einige wenige Stunden am Tag damit verbringt Lesen zu lernen.

    Die internationale Konkurrenz schläft nicht. Nur wenn die Nation - und damit sind alle Altersgruppen gemeint - an einem Strang zieht können wir uns international behaupten.

  • SG
    Schmidt Georg

    viele wachsen in armen, kinderreichen Familien auf! allein für diese Aussage gehört dem Herrn Experten die saure Bildungszitrone, der Mann hat NULL Ahnung, gerade die heutigen, und gerade deutschen Einzelkinder sind wesentlich mehr gefährdet, sag ich mal, als die Kinder in Kinderreichen Familien-ich hab nun 3 Kinder, die sich gegenseitig zoffen , aber auch unterstützen, betrachte ich die Einzelkinder bei uns-kommen mir schwere Bedenken, man muss einfach mal die Augen aufmachen-wie gesagt-mit grauts vor diesen Experten!

  • J
    Johanna

    Heutige Eltern ersticken ihre Kinder mit ihren eigenen Träumen und Interessen die auf die Kleinen projeziert werden. Dabei ist nichts wichtiger, als das Leben selbst zu entdecken und Freiräume zu haben, anstatt von den Eltern nur und bereits sehr früh in deren eigenes unvollkommenes, problembeladenes und letztlich doch marktkonformes Leben gepresst zu werden.

  • T
    tommy

    Echte Privilegiertenprobleme. Man merkt eben, dass das "linke" Milieu heute im Kern aus gesättigten Wohlstandsbürgern besteht.