Der schwäbische Rapper Cro: So ganz ohne Penis
Platz 1 der iTunes-Charts, vorbei an Silbermond und Toten Hosen: Mit gnadenlos fröhlichen Texten und Pandamaske erobert der schwäbische Rapper Cro die Charts.
Rap aus Deutschland, das hieß für fast zehn Jahre: Rap aus Berlin und damit fast automatisch Texte über leichte Mädchen, teure Autos, Drogenhandel, Waffen und Analverkehr.
Doch wenn nicht alles trügt, sind diese Zeiten aus und vorbei. Und nicht nur das: Die Jungs mit den Tätowierungen und zum Teil aktenkundig gewordenen Verbindungen zum organisiertem Verbrechen müssen nicht einfach nur das Feld räumen. Sie müssen sich außerdem einem 19-jähren Rapper namens Cro aus Stuttgart geschlagen geben, der sich hinter einer Pandamaske versteckt, mit schwäbischem Zungenschlag und guter Laune derzeit anschickt, der neue Superstar des deutschsprachigen Rap-Zirkus zu werden.
Dass es ausgerechnet ein so fröhlicher und ungefährlicher Musiker ist, der nun ein neues Rap-Zeitalter einläutet, hat viel damit zu tun, dass das Genre des großmäuligen Machoraps Marke Bushido überreizt, gesättigt und in jeder Weise erschöpft ist. Letztlich folgt das den Regeln von Angebot und Nachfrage – und den Regeln von Hegels Dialektik: zu Bushido, Fler und Massiv ist ein junger Mittelschichtsschwabe im Pandakostüm schließlich die perfekte Antithese, so wie die Rapper von Aggro Berlin vor zehn Jahren selbst die Antithese zu Fettes Brot und Freundeskreis waren.
Spätestens seit selbst Jan Delay den jungen Cro, der bislang ausschließlich mit Maske aufgetreten ist und von dem man außerdem nur weiß, dass er im bürgerlichen Leben Carlo heißt, gelernter Mediengestalter ist und im Keller des Hauses seiner Eltern in Stuttgart wohnt, im vergangenen November „die Zukunft von Deutschrap“ nannte, stehen die Zeichen auf Aufmerksamkeit und Erfolg, großen Erfolg.
Der Rummel, der sich um den 19-jährigen Stuttgarter entwickelt hat, überrascht in der Tat: Fast acht Millionen Mal wurde das Video zu seinem Hit „Easy“ seit November 2011 angesehen, über 380.000 Fans hat Cro auf Facebook versammelt, und die EP zu seinem bereits tausendfach heruntergeladenen Song hat es vergangene Woche außerdem noch auf Platz eins der iTunes-Charts geschafft – vor der Konkurrenz wie den Toten Hosen, Silbermond und Unheilig. Nicht nur Berliner Rapper und die großen Namen des deutschen Popgeschäftes dürften sich derzeit also wundern: Wer eigentlich ist dieser Cro?
Er wohnt bei seinen Eltern
Mit ebendieser Frage begann am 7. Februar des vergangenen Jahres eine Erfolgsgeschichte, wie sie selbst in der von Hypes und Überraschungen nicht armen Musikbranche selten vorkommen. „Wer ist dieser Cro?“, schrieb nämlich der aus dem schwäbischen Reutlingen stammende und beim Stuttgarter Label Chimperator unter Vertrag stehende Rapper Kaas auf Twitter, nachdem er die Lieder des von Cro selbst ins Internet gestellten Albums „Meine Musik“ gehört hatte – und damit begann die überraschende Karriere des jungen Schwaben: Cro nahm Kontakt zu Kaas auf, Kaas vermittelte Cro an sein Label, ein Vertrag wurde unterzeichnet und das nächste Mixtape von Cro mit der Erfahrung von Chimperator in Blogs, Foren und Pressemitteilungen bekannt gemacht. Dann ging alles Schlag auf Schlag.
Doch so ganz aus dem Nichts, wie es die Legende will, kommen weder Erfolg und Herangehensweise noch Cro selbst. In den USA, die in Sachen Rap weltweit immer noch den Takt angeben, ist die Verknüpfung von Rap und Pop, guter Laune und Niedlichkeit seit Jahren von Erfolg gekrönt. Schon das 2004 veröffentlichte Kanye-West-Album „The College Dropout“ zeigte einen niedlichen Braunbären auf dem Cover und war zudem äußert melodiös; später sampelte West gar den Ohrwurm „Young Folks“ von Peter, Björn and John und den Dancepop von Daft Punk. Und Mac Miller, ein schmächtiger, weißer Rapper aus Pittsburgh, erobert in den Vereinigten Staaten seit zwei Jahren mit jugendfreiem Ohrwurm-Rap in engen Jeans die Charts – ganz wie Cro derzeit in Deutschland.
Chimperator, das Stuttgarter Label mit Dependance in Berlin, bei dem Cro unter Vertrag steht, etablierte dieses Erfolgskonzept hierzulande schon vor fast vier Jahren: 2008, als Rap-Deutschland tatsächlich noch weitgehend im Zeichen von Penis, Knarren und Drogenhandel stand, veröffentlichten die aus den Rappern Tua, Kaas, Maeckes und Plan B bestehende Combo „Die Orsons“ auf Chimperator ein in Rosa und Neonfarben gehaltenes Album mit geradezu aufdringlich freundlichen Texten. „Damit haben wir damals mehr provoziert als mit jedem Lied über Hurensöhne“, erzählt Sebastian Schweizer, Gründer und Geschäftsführer bei Chimperator. Die geringen Berührungsängsten zu Pop und Mainstream sind bei Schweizers Label ebenfalls üblich: Zwischen Mai und Juli werden die Orsons Herbert Grönemeyer auf seiner Open-Air-Tour begleiten.
Aufdringlich optimistisch
Auch Cros Karriere beginnt ein Stück vor dem Hype: Bereits 2009 veröffentlichte der Rapper mit „Trash“ ein erstes Mixtape, damals noch unter dem Alias Lyr1c. Anfang 2011 folgte „Meine Musik“, wiederum in Eigenregie eingespielt und veröffentlicht, und Ende des vergangenen Jahres das „Easy Mixtape“ mit dem Hit gleichen Titels. Obwohl es von Cro bislang also noch kein Album zu kaufen gibt und vergangene Woche die erste Single veröffentlicht wurde, gibt es bereits mehr als 45 veröffentlichte Lieder. Das Versteckspiel mit der Maske ist natürlich ebenso wenig neu – und hat in den USA für den Rapper MF Doom und in Deutschland für Sido schon gut funktioniert, dürfte aber das Interesse der Fans, der Konkurrenz und der Öffentlichkeit nur verstärkt haben.
Und das Ende der Gangster-Rap-Ära? Hatte sich schon lange angekündigt: Bei den Berliner K.I.Z. waren dicke Hose und großer Penis bereits nur noch Parodie. Im vergangenen Jahr stürmten die jeglichen Kapitalverbrechens unverdächtigen Rapper Casper und Marsimoto mit gitarrenlastigem Marihuana-schwangeren Rap in die Top drei der Charts. Und selbst Sido, einst mit seinem „Arschficksong“ einer der prominentesten Vertreter des brachialen Berliner Raps, hatte sich zuletzt mit bedächtig-biografischem Pathos über seine Kindheit in der DDR, einem akustischen Album für MTV und zur letzten Bundestagswahl als verantwortungsvoller Mitbürger mit Anstand und Humor in Szene gesetzt.
Wo sich deutscher Rap, speziell der Berliner Machart, in den vergangenen Jahren in drastischen, düsteren und dramatisierenden Darstellungen des Alltags gefiel, herrschen bei Cro gnadenloser Optimismus und Fröhlichkeit. Textlich geht es zumeist um die Freuden der Jugend, Computerspiele, gute Laune, Tagträume, Liebeskummer, Freundschaft und die eigenen Fähigkeiten als Rapper.
Musikalisch sind die durchweg von Cro selbst produzierten Lieder dagegen von einer erstaunlichen Vielfalt: Auf dem letzten Mixtape bediente sich Cro bei „Jerk it out“ von den Caesars, „Banquet“ von Bloc Party und beinahe dreist bei „The Passenger“ von Iggy Pop, während der Hit „Easy“ sehr prominent und smart den hundertfach gecoverten Bobby-Hebb-Klassiker „Sunny“ sampelt. Man kann die ebenfalls sonnigen, bisweilen auch banalen und sich gleich bleibenden Texte langweilig und die Pandamaske albern und unnötig finden.
Ausverkaufte Konzerte
Doch mit dem Sunnyboy-Image erreicht Cro Hörer weit über das übliche, zumeist männliche Rap-Publikum hinaus. Die gerade erst beendete „Pandas gone wild“-Clubtour war bereits vollständig ausverkauft, an dem Album, das im Frühsommer erscheinen soll, arbeitet Cro mit Hochdruck, und bereits Mitte April beginnt schon die nächste Konzertreise, deren Gigs bis auf wenige Ausnahmen ebenfalls wieder ausverkauft sind.
Dass der unerwartete Erfolg von „Easy“ bald eher Last als Chance und eine Eintagsfliege werden könnte, darum macht sich Label-Chef Schweizer keine Sorgen. Immerhin hat das vor ziemlich genau zwanzig Jahren schon einmal sehr gut geklappt. Der leichtfüßige Rap-Hit über Frauen damals hieß „Die da!?“, und die Stuttgarter Rapper – bis heute erfolgreich – ohne Angst vor Popmusik, Fans und Mainstream sind die Die Fantastischen Vier.
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