piwik no script img

Der protestierende Rektor

■ Die letzte Notizen aus der Berliner Hochschulszene vor den Semesterferien

DIETER'S DIGEST

Ein Bild geht Dieter nicht aus dem Sinn, am Ende dieses letzten kleindeutschen Studienhalbjahres vor dem Start ins einig Berlin und Vaterland: Magnifizenz auf den Barrikaden. Humboldt-Rektor Heinrich Fink, wie er im Juni mit seinen StudentInnen vor die Volkskammer zieht, um gegen den miserablen Stipendienbeschluß der DDR-Regierung zu protestieren. Wann gab es das einmal in Westdeutschland: ein universitäres Oberhaupt, das aus der Rolle fällt und, für seine StudentInnen demonstrierend, auf die Straße geht?

Das war das Bild des Semesters, zumal dieser im Westen bislang unbekannte Akt von einer Gemeinschaft von Lehrenden und Lernenden auch in Ost-Berlin eine flüchtige Erscheinung des politischen Übergangs zu bleiben droht. Die Zukunft, die Reduktion demokratischer Verhältnisse auf das dürftige realkapitalistische Niveau, hat an der Humboldt-Universität schon begonnen. In mühevoller Kleinarbeit hatte man dort in den letzten Monaten ein beispielhaft demokratisches Universitätsstatut ausgearbeitet, das Demokratie und Mitbestimmung an den westdeutschen Hochschulen in den Schatten stellt. Mit einem wahrhaft reaktionären Erlaß ist DDR-Bildungsminister Meyer dabei, diesen Plan einer Demokratisierung des Hochschullebens ins Reich der Träume zu verweisen. Meyer (parteilos) hat einen Entwurf für eine Hochschulrahmenverordnung vorgelegt, der Mitbestimmungsmöglichkeiten noch viel weiter reduziert als das ohnenhin schon restriktive westdeutsche Hochschulrahmengesetz. Kostprobe: Ein Rat der Dekane bestimmt, wer als Rektor oder Prorektor an die Spitze der Universität gewählt wird. Exklusiv wie in alten Zeiten: Als ob das Politbüro seinen Generalsekretär benennt. Zwar soll die Wahl im (mehrheitlich mit Professoren besetzten) Konzil stattfinden, doch die Dekane stellten die Weichen für die Kandidatenkür. Meyer hatte bei der Einführung Finks als Humboldt-Rektor im April befohlen, die Talare wieder aus der Mottenkiste hervorzuholen. Zurück zur Professorenherrschaft im Stil der alten Ordinarienuniversität, scheint Meyers Devise zu lauten. Breitet sich der Muff von tausend Jahren wieder aus? Ein bißchen mehr Professorenherrlichkeit, das hätte auch Präsident Manfred Fricke an der Technischen Universität in West-Berlin ganz gern. Seit Anfang des Jahres wird dort sein Plan zu einer großen Strukturreform der TU diskutiert. Sie soll dem Präsidenten, aber auch den Fachbereichsdekanen noch mehr politisches Gewicht verleihen. Die 22 TU-Fachbereiche sollen zu zwölf großen Fachbereichen zusammengefaßt werden. An der TU ist es ein offenes Geheimnis, daß Fricke sich mit dieser ganz auf die Interessen des Präsidenten zugeschnittenen Strukturreform ein Denkmal setzen möchte. Doch die Westberliner Universitätspräsidenten scheinen mit großen Strukturreformen wenig Glück zu haben. Heckelmann hatte 1988 an der FU damit den Studentenstreik ausgelöst. Und auch Frickes Denkmal bröckelt schon, bevor es aufgestellt ist: Mittlerweile sind Gegenentwürfe in die Diskussion geworfen worden, und Fricke findet für seinen Plan kaum mehr Anhänger an der FU.

Dieter Hufutu

PS: Auch Dieter macht Semesterferien. Mit neuen Notizen meldet er sich wieder zum nächsten Semester.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen