Der neue Senat: Die SPD-Regierung steht
SPD und CDU einigen sich auf einen Koalitionsvertrag. In den meisten offenen Punkten hat sich die SPD durchgesetzt. Die Union darf mitregieren. Ein Überblick:
Klaus Wowereit lässt Frank Henkel den Vortritt. Allerdings nur ganz zu Anfang der Pressekonferenz am Mittwochmorgen, bei der die beiden den erfolgreichen Abschluss der rot-schwarzen Koalitionsverhandlungen verkünden. Der CDU-Chef betritt lächelnd den Raum, dann folgt der Regierende Bürgermeister. Dann redet erst mal nur Wowereit. Und als er sein Eigenlob beendet hat, fragt man sich, was die CDU dem noch hinzufügen soll. Denn viel zugestanden wird dem Juniorpartner in diesem Bündnis, das früher einmal als "große Koalition" bezeichnet wurde, nicht.
Bei den meisten der bis zum fast zwölfstündigen Finale am Dienstag vertagten Streitpunkte konnte sich die SPD durchsetzen. Wowereit versteigt sich sogar dazu, Henkel eine Parteizugehörigkeit in der "Christlich Sozialen Union" zuzuschreiben, schließlich habe die Union das Soziale in den Verhandlungen immer betont. Auch Henkel lacht über den kleinen Witz zu Beginn - was bleibt ihm anderes übrig? Dann folgt die Aufzählung der SPD-Erfolge im Verhandlungspoker.
Mindestlohn
Der im Berliner Vergabegesetz festgeschriebene Mindestlohn wird von 7,50 Euro auf 8,50 Euro erhöht. Unternehmen, die sich um Aufträge des Landes bewerben, müssen mindestens so viel zahlen. Dies sei ein Schritt in die "richtige Richtung" und ein "Schutz vor Dumpinglöhnen".
Bildung
Auch im Bereich Bildung konnte sich die SPD weitgehend durchsetzen. LehrerInnen werden weiterhin nicht verbeamtet, was die CDU wollte. Die von Rot-Rot beschlossenen Schulreformen müssten "konsequent umgesetzt" werden, betont der Regierende. Die Sekundarschulen, entstanden aus der Fusion von Haupt-, Real- und Gesamtschulen, bleiben. Wowereit spricht vom "Berliner Schulfrieden". Man werde zudem die Kinderbetreuung ausbauen. Auch die Gebührenfreiheit bleibt. Derzeit sind die letzten drei Kitajahre vor Schulbeginn kostenfrei, Schulen und Hochschulen gänzlich.
Die SPD stellt künftig die SenatorInnen für Finanzen, für Stadtentwicklung und Umwelt, für Bildung, Jugend und Wissenschaft sowie für Arbeit, Integration und Frauen. Klaus Wowereit bleibt Regierender Bürgermeister und Kultursenator. Die Union bekommt vier Posten: erstens Inneres und Sport, zweitens Wirtschaft, Technologie und Forschung, drittens Gesundheit und Soziales und schließlich Justiz und Verbraucherschutz. Namen sollen erst am 28. November genannt werden. Als sicher gilt jedoch, dass der parteilose Finanzsenator Ulrich Nußbaum im Amt bleibt und dass SPD-Partei- und -Fraktionschef Michael Müller Stadtentwicklungssenator wird. Bei der Union ist Frank Henkel als Innensenator gesetzt.
Der Entwurf für den Koalitionsvertrag wurde mittlerweile im Internet veröffentlicht und kann auf dieser Seite eingesehen werden.
Mieten
Dass Rot-Schwarz zumindest verbal etwas liefern muss, um das Thema Wohnungsmarkt nicht komplett der Opposition zu überlassen, scheint der Regierende erkannt zu haben. Mehrfach betont er den Einsatz der Koalition für "bezahlbare Mieten" und "soziale Durchmischung", die freilich "nicht in jedem Kiez umsetzbar" sei. 6.000 Wohnungen pro Jahr sollen neu gebaut werden, von den landeseigenen Gesellschaften und privaten Investoren. Und die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften sollen ihren Bestand in fünf Jahren um 30.000 Wohnungen aufstocken - durch Kauf oder Neubau. Henkel spricht von einer "mietpreissenkenden" Politik.
Integration
Einen Vorstoß zur Einführung des kommunalen Wahlrechts für Ausländer aus Nicht-EU-Staaten wird es nicht geben. Henkel sagte jedoch zu, eine schon von Rot-Rot in den Bundesrat eingebrachte Inititiative zur Änderung des Staatsangehörigkeitsgesetzes zu unterstützen.
Finanzen
Schließlich war die SPD erfolgreich bei den Finanzen. Die Grunderwerbssteuer wird von 4,5 auf 5,0 Prozent erhöht, ab 2013 soll die von der CDU als Unfug gescholtene City Tax für Touristen gelten. 5 Prozent des Übernachtungspreises gehen dann als Steuer an das Land - sobald man ein solches Gesetz rechtssicher machen könne, sprich laufende Klagen gegen solche Regelungen in anderen Kommunen erfolglos bleiben.
Programme gegen rechts
Vorerst aufatmen können viele Anti-Nazi-Initiativen. Die Programme gegen rechts werden "fortgeführt und weiterentwickelt", verspricht Wowereit. Zudem will sich Rot-Schwarz für ein NPD-Verbot einsetzen. Aber natürlich sei man "gegen Extremismus jedweder Art".
All diese nicht unbedingt mit klassischen CDU-Positionen vereinbarenden Koalitionsplanungen scheinen Frank Henkel wenig auszumachen. Überhaupt verkörpern beide an diesem Morgen fast perfekte Harmonie - wieder mal. Wowereit trägt einen dunkelblauen Anzug, Henkel auch. Wowereit hat einen Linksscheitel, Henkel auch. Wowereit trägt eine hellblau-weiß-gestreifte Krawatte, Henkels ist einfarbig hellblau. Und beide sagen Sätze wie "Wir haben die Verhandlungen zu einem guten Ergebnis gebracht" (Wowereit) und "Es ist ein gutes Ergebnis für beide Parteien" (Henkel). Dann wird ein bisschen gelächelt.
"Pragmatische Lösungen"
Auch Henkel zieht eine erfolgreiche Bilanz. Er habe - im Wahlkampf - "versprochen" und nun "geliefert". Großprojekten stehe man nicht "kleingeistig" gegenüber - eine Anspielung auf die Grünen und ihren Einsatz gegen die A 100 -, sondern gehe sie "mutig an". Und für strittige Fragen habe man "pragmatische Lösungen" gefunden. So wird die gerade erst eingeführte Kennzeichnungspflicht für Polizisten nur leicht verändert. Zudem gibt es, wie von der CDU gefordert, 250 zusätzliche Stellen bei der Polizei - 200 davon hatte allerdings Wowereit schon im April zugesagt. Einen künftigen Polizeipräsidenten Udo Hansen werde die CDU indes mittragen - sollte der umstrittene Kandidat es denn werden, betont Henkel.
Häuslebauer
Einen klaren Sieg konnte Henkel immerhin verbuchen: Das unter Rot-Rot eingeführte Straßenausbaubeitragsgesetz, laut dem Anwohner die Kosten für den Umbau ihrer Straße mittragen müssen, wird abgeschafft!
Die neue Koalition sei nach fast zehn Jahren Rot-Rot für ihn und die Stadt eine "Zäsur", betont Wowereit. Die anfängliche Skepsis in seiner Partei - die lange ein rot-grünes Bündnis bevorzugt hatte - sei im Laufe der Verhandlungen einer "Vertrauensbasis" gewichen. Und die aktuelle Richtungsdebatte bei den Grünen mache ihm deutlich, dass Rot-Schwarz der richtige Weg sei.
Am Montag soll die jeweilige Parteibasis zustimmen, am Mittwoch der Koalitionsvertrag unterzeichnet werden.
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