Der neue Kommissar beim ARD-"Tatort": Jenseits des Kebab
Endlich kein voll integrierter Mustermigrant: Mehmet Kurtulus, von 2008 an Hamburger "Tatort"-Kommissar, gibt einen Vorgeschmack auf seine Rolle als Gast beim "Tatort" aus Hannover.
![](https://taz.de/picture/405467/14/Kurtulus.jpg)
Der dienstälteste deutsche Fernsehkommissar mit sogenanntem Migrationshintergrund ist ein Musterbeispiel der Integration: Seit über 15 Jahren versieht der Kroate Ivo Batic, gespielt von Miroslav Nemec, in Bayern seinen Dienst. Vom Leberkäs bis zu den rustikalen Redewendungen im örtlichen Idiom hat er sich ziemlich perfekt an seine Umgebung angepasst. Nur ein- oder zweimal trat seine Herkunft vom Balkan an den Tag, als Vertreter der jugoslawischen Bürgerkriegsparteien in München Stellvertreterkriege fochten. Da fungierte Batic als eine Art Übersetzer, der die Kollegen und das Publikum durchs schwer verständliche kulturelle Dickicht führte.
Dass der deutsche Großstadtkrimi solche Übersetzer braucht, hat sich inzwischen bei fast allen TV-Verantwortlichen herumgesprochen. Ob der leider schon wieder entlassene persische Sidekick im Kieler "Tatort" oder der Türke Aylans bei "Eva Blond", ob die vielen Streifencops in "Nachtschicht" oder in "Kriminaldauerdienst": Allerorten stellt man den deutschen Kommissaren Assistenten nichtdeutscher Herkunft zur Seite. So glaubwürdig und einnehmend diese Charaktere zum Teil auch angelegt sind, ihre Daseinsberechtigung in der Geschichte speist sich doch meist nur aus einer einzigen Tatsache: Sie geben für die deutschen Ermittlerhelden den unersetzlichen Trapper.
Dass ein Cop, der zum Beispiel fest im türkischen Milieu verwurzelt ist, tatsächlich Hauptrollenpotenzial besitzen könnte, davon waren die Fernsehmacher bislang nicht überzeugt. 1999 war zwar schon Erol Sander als Sinan Toprak für RTL auf Verbrecherjagd gegangen, man feierte aber eher seinen südländischen Charme, als eine kulturelle Verortung jenseits der üblichen Dönerklischees vorzunehmen. Bislang sind Migrantenbullen nicht viel mehr als stereotype Kleckse im deutschen Krimialltag.
Daher sind die Erwartungen an Mehmet Kurtulus, der Mitte 2008 in Hamburg als Chefermittler antritt, hoch. In Interviews hüllt sich der Schauspieler, der über die Filme von Fatih Akin ("Kurz und schmerzlos") zu Ruhm gelangte, noch in Schweigen. Verlauten lässt er zum Thema nur, dass man die türkischen Aspekte seines Parts nicht zu sehr betonen wird. Tatsächlich wäre ein öffentlich-rechtlicher Quotentürke, der nur gut gemeint ist, das Letzte, was der trotz gelegentlich gesellschaftsrelevanter Themen ziemlich bedeutungslos gewordene biedere Hamburger "Tatort" brauchte.
Und ausgerechnet die "Tatort"-Episode aus Hannover am Sonntag macht nun Hoffnung auf einen gloriosen Neuanfang beim Fernsehrevier an der Elbe. Denn da ist Kurtulus als türkischdeutscher Ermittler an der Seite der Kommissarin zu sehen - wenn auch nur als Gast. In der von Angelina Maccarone ("Fremde Haut") mit kühler Präzision inszenierten Folge geht es um den Tod einer jungen Türkin, der von den deutschen Behörden vorschnell als Ehrenmord behandelt wird.
Es spricht zwar nicht unbedingt für die Koordinationsfähigkeit des NDR, dass man ausgerechnet jenem Schauspieler eine Episodenrolle als Ermittler zukommen lässt, der in einem halben Jahr in einer anderen Stadt, mit einer weiteren Figur als neuer Starkommissar etabliert werden soll. Doch der Fall führt auf denkbar kluge Weise in kulturelle Missverständnisse ein - und gibt Kurtulus reichlich Gelegenheit, mit deutschtürkischen Missverständnissen aufzuräumen. Von der Kollegin anfänglich als karrieregeiles und typisch deutsches Arschloch beschimpft, entwickelt Kurtulus auf kurzer Strecke einen denkbar facettenreichen Kommissar. Der alevitische Türken-Cop isst mit der aufsässigen blonden Kollegin in der Kantine Sauerkraut und Kassler Braten, passt aber keineswegs in das Schnittmuster des voll integrierten Mustermigranten - wie Kommissar Batic in München. Dies lässt darauf hoffen, dass in den Hamburger "Tatort" mit dem Amtsantritt von Mehmet Kurtulus ein trockener Multikulturalismus jenseits der Kebabklischees einzieht.
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