■ Der neue Hypertrend: Snoozing: „Irgendwie geil kaputt“
„Snoozing“ – das klingt wie eine neue Extremsportart und in gewisser Weise ist es das auch. Natürlich kommt die Idee aus Amerika, wo die Gemeinschaft der Snoozer inzwischen sechsstellig sein dürfte. Im Internet sind sie auf unzähligen boards vertreten, und auch hierzulande wächst die Anhängerschar unaufhaltsam.
Soeben, reichlich spät, ist auch Matthias Horx mit seinem Hamburger Trendbüro auf den neuen Hypertrend aufmerksam geworden, der gewissermaßen in der Nachfolge des „Cocooning“ steht, welches Horx zu Anfang der Neunziger hierzulande diagnostiziert hatte (i. e. „Einigeln im eigenen Heim“, vgl. Matthias Horx: „Trendbuch 1“. Düsseldorf 1993, S. 92). Natürlich stammt ursprünglich auch das aus Amerika: Horx hatte den Begriff seinerzeit von der amerikanischen Trendforscherin Faith Popcorn nur abgeschrieben – egal. Interessanter ist sicherlich die Frage, was Snoozing eigentlich ist, beziehungsweise worin seine Faszination besteht.
Lassen wir zur Klärung einen waschechten Snoozer zu Wort kommen, den wir in Lüdenscheid/ Sauerland ausfindig machen konnten; aus verständlichen Gründen will er nicht, daß sein Name genannt wird, weshalb wir ihn Carsten Bitzhenner nennen werden.
Carsten Bitzhenner: „Ich wach' halt so morgens auf, wenn der Wecker klingelt, dann drücke ich auf die Snooze-Taste und penne weiter, dann klingelt der Wecker wieder, ich drücke wieder auf „Snooze“ undsoweiter ... fünfzehn-, manchmal zwanzigmal geht das so, bis zum Nachmittag oder Abend. Danach fühlst du dich voll gerädert, logo, aber auch irgendwie geil ... geil kaputt, könnte man sagen. Geregelt kriegt man danach natürlich nichts mehr, aber das spielt dann auch irgendwie keine Rolle mehr ... Hauptsache gut gesnoozt, denkt man sich dann, der Rest ist scheißegal.“
So verführerisch das auch klingen mag – und gerade bei jüngeren Leuten ist der Einfluß der peer group auf das Snoozing-Verhalten nicht zu unterschätzen – besteht tatsächlich gerade beim exzessiven Dauer- oder Marathonsnoozen, wie es von den meisten Snoozern betrieben wird, akute Gefahr für die Gesundheit.
Mediziner warnen bereits: Snoozing kann schnell zur Abhängigkeit führen. Die Folgen für Herz, Kreislauf und Muskulatur sind katastrophal: alles schlafft ab oder degeneriert. Aus dem harmlosen Liegenbleiben morgens – oft als „Nur-nochmal-kurz-Rumdrehen“ verniedlicht und gesellschaftlich sanktioniert – wird binnen kurzem ein ernstzunehmendes Suchtverhalten, das seine Opfer gesundheitlich in den Ruin treibt und sozial isoliert.
Nochmal Carten Bitzhenner: „Es fängt damit an, daß du den Wecker auf fünf Uhr stellst, um länger snoozen zu können. Dann wachst du eines Morgens auf und hast ein höllisches Fiepen – oder Rasseln, je nachdem – im Kopf, das immer lauter wird. Du tastest ums Bett rum und bist nur noch auf der Suche nach dem nächsten Druck ... nach der Snooze-Taste, äh ... nach dem nächsten Druck auf die Snooze-Taste, meine ich natürlich. Das Ding läßt einen irgendwann einfach nicht mehr los.“
Wie wir sehen: Faszination und Gefahr liegen auch bei dieser neuen und ausgeflippten Mode dicht beieinander. Allen, die es dennoch einmal ausprobieren möchten, sei hiermit zur Vorsicht geraten. Der TÜV Rheinland sah sich auf das Drängen besorgter Eltern hin bereits genötigt, eine Stellungnahme zum Phänomen abzugeben; von ihm stammt der Vorschlag, Snooze-Tasten ganz zu verbieten und aus dem Verkehr zu ziehen – wie ein Sprecher meinte: „Die Dinger sind einfach zu gefährlich, unkontrollierbar!“
In den USA, wo die Snoozing- Welle bereits vor zwei Jahren ihren Höhepunkt erreichte, sind unbestätigten Gerüchten zufolge, bereits die ersten Snoozing-Toten zu beklagen. Angeblich reagierten sie auf überhaupt kein Wecksignal mehr. Holm Friebe
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen