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Archiv-Artikel

Der kleine Vorturner

Der 17-jährige Fabian Hambüchen wird erstmals deutscher Mehrkampfmeister im Turnen und weckt Medaillenhoffnungen für die Europameisterschaften in zwei Wochen

BERLIN taz ■ Andreas Hirsch war beeindruckt. Der Bundestrainer der deutschen Kunstturner wollte eigentlich nicht viel Gutes sagen über seine Athleten, die ihn mit einer Ausnahme doch recht enttäuscht hatten bei den deutschen Mehrkampfmeisterschaften in Berlin. Doch die Leistung von Fabian Hambüchen hat den gestrengen Trainer dann doch milde gestimmt. Der junge Mann aus Wetzlar hatte zum Abschluss des Wettkampfs eine Reckübung hingelegt, die schlichtweg Weltklasse war. Die 9,650 Punkte, die er dafür erhielt, waren mit Abstand die höchste Wertung des Tages. „Wenn das international auch so bewertet wird, dann ist man ganz oben mit dabei“, freute sich der Bundestrainer.

In zwei Wochen beginnt im ungarischen Debrecen die EM, und sollte Hambüchen eine ähnlich souveräne Vorstellung am Reck gelingen, dann ist eine Medaille für den Deutschen Turnerbund durchaus möglich, vielleicht sogar wahrscheinlich. Mehr allerdings auch nicht. Denn das deutsche Turnen lebt derzeit einzig von dem 17-jährigen Gymnasiasten. Und das stimmt den Bundestrainer dann doch wieder nachdenklich. Hirsch ließ sich überhaupt nicht von der Stimmung in der Halle, wo vor allem die weibliche Turnfestjugend den neuen deutschen Mehrkampfmeister feierte, anstecken. Denn eigentlich hätte Hambüchen den Wettbewerb gar nicht gewinnen dürfen. An den Ringen sind gute Wertungen selten für den Schüler, dessen Muskulatur für das Kraftgebolze in luftiger Höhe noch nicht stark genug ist. Und am Pauschenpferd hat Hambüchen auch stets seine Probleme, am Mittwoch musste er sogar absteigen und erhielt entsprechend schlechte Noten. Dass er am Ende dennoch Meister wurde, spricht nicht für seine Konkurrenz. Das muss einen Bundestrainer ärgern.

Allzu schlechte Stimmung wollte Andreas Hirsch dennoch nicht verbreiten. Er weiß, was er an seinem kleinen Vorturner hat. Hambüchen ist, weil er sich als 16-jährige Bub ins Reckfinale der Olympischen Spiele von Athen geturnt hat, verantwortlich für einen kleinen Turnboom in Deutschland, den noch vor Jahresfrist kaum einer für möglich gehalten hätte. Und es spricht nicht wenig dafür, dass er noch eine Weile anhält. Denn der Sohn des ehrgeizigen Trainerpapas Wolfgang hat einen überaus coolen Auftritt hingelegt im Berliner Velodrom. An vier Geräten hat er neue Übungen geturnt – allesamt anspruchsvoller als die des Vorjahrs. Und auch die kreischenden Mädchen in der mit 4.500 Zuschauern gut gefüllten Halle konnten ihn nicht aus der Ruhe bringen. Im Gegenteil. Nach dem Wettbewerb schwärmte er von der Atmosphäre.

„Sag doch dem Papa, er soll meine Autogrammkarten holen“, rief Hambüchen einem Betreuer zu, nachdem die ersten Mädels nach der Siegerehrung auf ihn losstürmten. Ob er sich wohl fühle, wenn er so angehimmelt werde, wurde der kleine Popstar gefragt. „Ja“, lautete die einfache Antwort des Schülers, der in den nächsten drei Wochen den Unterrichtsstoff samt Hausaufgaben von den Lehrern per E-Mail zugeschickt bekommt. Viel Zeit für die Schule hat er nämlich nicht, die EM-Vorbereitung steht an. In Debrecen will er die Zuschauer und Kampfrichter noch einmal beeindrucken mit seiner Flugshow am Reck. Drei Flugteile hintereinander – Tkatschow gestreckt, Tkatschow gegrätscht, Gienger-Salto – turnte er mit atemberaubender Sicherheit.

Mit derselben Sicherheit tritt er den Medien gegenüber. Und während bei den Übungen an den Geräten immer der Vater in der Nähe steht, stellt sich Fabian den Journalisten ganz ohne elterliche Absicherung und parliert locker daher. Über die Trainingsarbeit, seine Probleme mit dem Pauschenpferd, die bevorstehende EM und über die Schule. Dort hat er eigentlich nur in einem Fach Probleme – in Deutsch: „Da tue ich mich schwer. Auch wenn man immer wieder sagt, dass ich mich ganz gut ausdrücken kann.“ Sprach’s, strahlte und machte sich ans Verteilen der Autogrammkarten.

ANDREAS RÜTTENAUER