Der heilige Baum

■ Alte chinesische Malerei in der Galerie Hoeppner

19 Werke von sechs alten Meistern der chinesischen Malerei aus dem 17. bis 19. Jahrhundert machen den kunstgeneigten Betrachter poetisch aufmerksam, daß mit dem Osten auch etwas anderes gemeint sein kann, als neue Bundesländer oder der angebliche Bankrott marxistischer Lehren. Dem traditionsbewußten Chinesen geht es künstlerisch um mehr: ein realistisches und metaphysisch-demütiges Bewußtsein. „Der große Weg verströmt sich, ach: er kann zur Linken sein wie zur Rechten“, formulierte Lao Tse im Tao Te King.

Mit den Meistern des 17. Jahrhunderts beginnt eine Periode der Befreiung und Neuorientierung in der chinesischen Malerei, die zu einem stärker ausgeprägten Individualismus führte. Die Natur wird als das große Gleichnis gesehen: jedes Detail im Universum ist gleichwertig - egal ob Stein, Pflanze, Blüte, Baum, Berg, Fluß, Tier oder Mensch. Dem kleinsten Teil wird liebevolles, handwerklich meisterhaftes Augenmerk geschenkt, um sprühende Lebendigkeit zu erreichen.

Dem chinesischen Denken sind auch die Bildtitel Anlaß einer poetischen Einsicht in das tatsächliche Wesen des Seins. „Festgebunden im Nebel liegt ein kleines Boot an der Sandbank“ lautet der schlichte Titel einer Tuschearbeit auf blattgold-gesprenkeltem Papier von Mei Chuen. Der Maler lebte von 16O9 bis 1671 und widmete sich Landschaften und Gedichten in der Qing-Dynastie.

Ebenso begleitete Yue Chuang in der Mitte des 19. Jahrhunderts seine kalligrafischen Arbeiten, die er der Landschaft, den Blumen und Vögeln widmete, mit bildreichen Worten: „Morgens am Wege blühen die Blumen im Tau/Wie bunte Seide gewebt/Der Maler tanzt mit seinem Pinsel/Wie ein frühlingshafter Wind über das Papier.“

Die ausgestellten Roll-Bilder und Tuscharbeiten stammen aus der Sammlung des Galeristen. Seine orientalischen Studien führten zu seiner Bewunderung der chinesischen Kultur. Leider gibt es in der Galerie wenig über Herkunft und Sammlung zu erfahren. Die einen wissen nichts, die anderen geben nichts preis. Apropos: Die Preise der Blätter sind günstig.

Aber die Ausstellung zu besuchen sollte sich der Betrachter als ein müßiggängerisches, innerwegliches Vergnügen leisten, um sich nach dem Augenschmaus bei einem guten Tee einem Werk über chinesische Malerei hinzugeben und seinen Tschuang Tse einmal wieder hervorzuholen, der da weise schrieb und dachte: „Ist ein nichtsnutziger Mensch die richtige Person, von einem nichtsnutzigen Baum zu reden?“.

Gunnar F. Gerlach

Rotenbaumchaussee 1O3, Di-Fr 1O-18.3O, Sa 1O-14 Uhr, bis Ende August