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Archiv-Artikel

Der fremde Freund

Keine Angst vor den bekannten Bildern: Der Schriftsteller und Journalist Adam Soboczynski versucht, sich das Heimatland des Prekariats zu erklären – Polen

Grazyna erzählt von ihrem glücklichen Leben in Polen,und Soboczynski weiß, dass er noch nirgendwo so fremd gewesen ist

Es gibt kaum eine Nation, über die hierzulande so viele Witze und Klischees kursieren wie über die Polen. Der Autor und Journalist Adam Soboczynski, in Polen geboren und in Deutschland aufgewachsen, kennt sich damit bestens aus. Gerade deshalb macht er sich in seinem Buch „Polski Tango“ auf den Weg, um nach den Menschen und Geschichten hinter diesen Witzen und Klischees zu schauen.

Soboczynski reist in Sprüngen. Es geht hin und her zwischen Deutschland und Polen, zwischen literarischer Reportage, autobiografischen Versatzstücken und Zeitzeugenporträts. Was aber auf den ersten Blick nach bloßem Stückwerk aussieht, hat einen ganz einfachen Sinn: Die Stücke, die sich probeweise zu einem Bild von Polen und polnischer Kultur zusammensetzen lassen, spiegeln in ihrer Form das, was aus der Perspektive des Autors den eigentlichen Charme Polens ausmacht. Für Soboczynski ist Polen das Mutterland des Prekariats. Zalatwiać ist eine der wichtigsten polnischen Vokabeln. Es bedeutet so viel wie „es irgendwie hinkriegen“, „sich durchwurschteln“. Weil zalatwiać aber auch heißt, „jemanden reinzulegen“, liest Sobozcynski an diesem doppeldeutigen Begriff, der sich selbst irgendwie durchzuwurschteln scheint, die mentale Verfassung Polens ab.

In Jahren sozialistischer Mangelwirtschaft hat man sich nämlich in einem Provisorium eingerichtet, in dem das Scheitern immer mit dazugehört. Genauso wie die Hoffnung auf den Sieg in der nächsten Runde. Vielleicht liegt es an diesem immer optimistischen Eingeständnis des eigenen Scheiterns, dass die Polen auf die Klischees, die ihnen angehängt werden, nicht nur mit Humor reagieren. Durch irgendeinen Trick scheinen sie ihnen manchmal tatsächlich auch zu entsprechen. Und so lesen sich Soboczynskis Geschichten auf den ersten Blick, als wären es die altbekannten. Die Episode über den betrügerischen Taxifahrer gehört genauso dazu wie die Episode über den wodkaschweren Abend in einer verrauchten Krakauer Kneipe, in der ein einsames Paar zu den melancholischen Klängen des Tangos tanzt. Genau das aber ist Soboczynskis Stärke: Er hat keine Angst vor den bekannten Bildern. Aber er tappt nicht in die Falle poetischer Verkitschung. Soboczynski nutzt stattdessen sein journalistisches Handwerkszeug, um den Bildern eine Tiefenschärfe zu verleihen, die ihre sozialen, politischen und historischen Hintergründe sichtbar werden lassen.

Und so erzählt der Reisende auch über die Seiten Polens, die sich selbst beim besten Willen zur Verkitschung nur noch düster beschreiben lassen. Denn auch wenn man hierzulande die „Tagesschau“-Auftritte der beiden eineiigen Kaczynski-Brüder zuweilen gern als clowneske Politperformance betrachten möchte, durch ihren Regierungsstil wird man eines Besseren belehrt.

Ihr Wahlsieg ist für Soboczynski allerdings nur die Fortsetzung von dem, was sich als diffuse Forderung nach mehr Ordnung oder als konkrete Steigerung der Schwulenfeindlichkeit seit längerem angekündigt hat. Wer Soboczynskis Porträt eines russischen Widerstandskämpfers und Tschetschenien-Deserteurs liest, der seit Jahren vergeblich im Sumpf polnischer Bürokratie um sein Recht auf Asyl klagt, der bekommt eine Vorstellung davon, dass zalatwiać immer auch in eine Härte umschlagen kann, die gar nicht mehr doppeldeutig, sondern existenziell bedrohlich ist.

In der Krakauer Kneipe erfährt Soboczynski auch: Tango ist ein Neutrum. Deshalb, erklärt ihm sein Tresennachbar, bevor er über seinem Getränk einschläft, heißt es grammatisch korrekt nicht „Polski Tango“, sondern „Polskie“. Solche sprachlichen Spitzfindigkeiten hat Soboczynski während der Jahre in Deutschland vergessen. Und so ist das Buch immer auch eine sehr persönliche Reflexion darüber, was es bedeutet, in jedem der beiden Länder ein bisschen, aber nirgendwo wirklich zu Hause zu sein.

Am Ende seiner Reise besucht der Autor die polnische Wohnsiedlung, die seine Eltern vor 25 Jahren Richtung Deutschland verlassen haben. Er sitzt auf einer Bank inmitten der verschneiten Betonlandschaft, neben ihm Grazyna, mit der er als Kind gespielt hat und die mit ihren Kindern noch immer in derselben Wohnung wie damals lebt. Grazyna erzählt von ihrem glücklichen Leben, und Soboczynski weiß, dass er noch nirgendwo so fremd gewesen ist. Das könnte nach Klischee klingen, fühlt sich aber gar nicht witzig an. WIEBKE POROMBKA

Adam Soboczynski: „Polski Tango“. Gustav Kiepenheuer Verlag, Berlin 2006. 207 Seiten, 17,90 Euro