Der falsch verstandene Trend zum Automatismus und die falsche Höflichkeit : JOHANNES GERNERT über unabdingbare Neuerungen für Straßenpromoter
Mit Automaten verhält es sich wie mit Fußballspielern. Falsch eingesetzt schaden sie mehr als dass sie nutzen. Von der Last des Alterns allein schon genug geplagte Menschen werden die Bankschalterbeamten gestrichen. Man zwingt sie mittels einer vierstelligen Geheimnummer gegen das Alzheimer’sche Vergessen anzukämpfen und nötigt sie, ihr schwindendes Augenlicht an kaum entzifferbaren Bildschirmen zu schulen. Kein Wunder, dass sie regelmäßig versehentlich alles auf einmal abheben und anschließend immer wieder aufs Neue überfallen werden.
Dort, wo es wirklich wünschenswert wäre, lässt die effizienzfördernde Auswechslung von Mensch gegen Maschine oft noch auf sich warten. Auf dem Schlachtfeld Straßenpromotion werden die Werbekanonen immer noch mit menschlichem Material gefüttert. Trotzdem nimmt der Promoter bisweilen maschinenähnliche Züge an. Er klingt in solchen Fällen wie eine schlecht gebrannte, zerkratzte CD, die den Laser der Anlage am weiterführenden Lesen hindert.
Der monotone Maschinenklang fällt erst auf, wenn man mehrere Male an dem junge Mann vorübergeht, der abwesend starrend immer wieder „Mal die Süddeutsche gratis. Die Süddeutsche testen. Die Süddeutsche mal kostenlos“ vor sich hin brabbelt, dabei aber gekonnt die körperlich unscheinbare Haltung durch ein oft unvermittelt einsetzendes Anheben der Stimme zu kompensieren sucht. Seine Variationen des Wortes Süddeutsche hören sich jedes Mal anders an. Er verleiht dem Begriff dadurch eine jeweils neue Frische, bevor die Schleife mit „Mal die Süddeutsche gratis“ wieder von vorne beginnt.
Es ist dringend notwendig, diesen jungen Mann und seine Kolleginnen endlich maschinell zu ersetzen. Schließlich haben auch U-Bahn-Waggons irgendwann einmal sprechen gelernt. Auch wenn deren Sprachkompetenz mittlerweile auf zurückgebliebenem Niveau stagniert. „Mal die Süddeutsche gratis“ sollte jede Maschine dennoch ohne größere Probleme hinbekommen.
Sie könnte dazu ein bisschen blinken und dudeln wie ein Spielautomat und gelegentlich mal eine gefaltete Zeitung auf die Vorübergehenden werfen. Oder einen Handyvertrag. Oder ein Spendenformular. Oder eine Flügel verleihende Getränkedose mit dem jetzt neuen Vanillekirscheorangengeschmack. Die Dosen sollten allerdings, um die Verletzungsgefahr gering zu halten, besser gerollt und nicht geworfen werden. Man müsste sorgfältig kalibrieren.
Vielleicht würde die Maschine die Vorübergehenden dann automatisch auf deren häufig unpassendes Antwortverhalten aufmerksam machen. Hier haben sich mit der Zeit semantische Eigenheiten eingeschlichen, die noch dringender als die Rechtschreibung der baldigen Korrektur bedürfen. Auf die Frage „Haben Sie schon mal was von Oxfam gehört?“ antwortet ein Großteil der Befragten etwa „Nein, danke.“ Hä? Das ist dieselbe falsch verstandene Höflichkeit, die auf dem Fensterplatz eingezwängte Busfahrende immer wieder seltsam indiskret werden lässt mit der Frage „Steigen Sie auch aus?“. Gemeint ist: „Lassen Sie mich mal durch, aber ein bisschen plötzlich bitte, ja!“. Ein „Nein, danke“ auf der Straße meint in diesem Sinne: „Sehen Sie nicht, dass ich angestrengt vorübereile, was interessiert mich da Oxfam?“
Eine Maschine könnte möglicherweise ehrlichere Antworten zu Tage fördern und auf diese Weise Sinn stiften. Wer ist Automaten gegenüber schon höflich? Allzu freche Ausfälle von Seiten der Fußgänger würden mit einem sauber gezielten Dosenwurf beantwortet.