: Der ewige Muslim
In seinem neuen Buch, „Imperialismus im Namen Allahs“, zeichnet der israelische Historiker Efraim Karsh eine Karikatur der islamischen Geschichte. Erstaunlich, dass ein seriöser Verlag dies veröffentlicht
Jede Zeit bringt ihre Verschwörungstheorien hervor. Die Darstellung des Islam als aggressiv und expansionslüstern wurzelt im frühen Mittelalter, als Volkstribune wie Martin Luther das expandierende Osmanenreich zum ultimativen Gegenspieler des christlichen Abendlands erklärten. Seit dem 11. September hat das alte Ressentiment neuen Auftrieb erhalten, und so wird der Islam heute von interessierter Seite erneut zur existenziellen Bedrohung Europas und der westlichen Welt hochgeschrieben.
Ein Propagandist eines solchen Clashs der Zivilisationen ist der israelische Historiker Efraim Karsh, der am King’s College in London lehrt. Seine Laufbahn begann er als Analytiker in der israelischen Armee, heute ist er der Lieblingshistoriker von Likud-Hardlinern wie Benjamin Netanjahu. Hervorgetan hat sich Karsh als lautstarker Kritiker jener neuen Historiker, die es wagten, Israels offizielle Geschichtsschreibung infrage zu stellen. Im Gegensatz zu Benny Morris & Co. lehnt Efraim Karsh es rundheraus ab, die Vertreibung von Palästinensern als historische Tatsache anzuerkennen oder, im Hinblick auf das Westjordanland und den Gazastreifen, gar von einer israelischen Besatzung zu reden. Stattdessen deutet er Israel zum ewigen Opfer arabischer Aggression um.
In seinem neuen Buch geht er noch einen Schritt weiter: Eroberungswille sei etwas, das allein den Islam auszeichne, ja, er sei geradezu das Wesensmerkmal dieser Religion – so lautet die Kernthese von „Imperialismus im Namen Allahs“, in dem Karsh die islamische Geschichte durchweg im negativsten Licht erscheinen lässt. Er unterschlägt, dass der Islam keineswegs nur mit kriegerischen Mitteln Verbreitung fand: Nach Südostasien und Zentralafrika etwa wurde er durch Kaufleute und Prediger getragen. Zudem verzichteten die islamischen Eroberer, im Gegensatz zu ihren christlichen Kollegen, auf die Zwangsbekehrung ihrer Untertanen. Deshalb konnte sich das Christentum auf dem Balkan halten, wahrend Muslime und Juden nach der katholischen Rückeroberung Spaniens von dort vertrieben wurden.
Doch für Fakten, die nicht in sein holzschnittartiges Tableau passen, hat Karsh keinen Platz: Was nicht passt, wird passend gemacht. Soziale und kulturelle Hervorbringungen des Islam kommen bei ihm nicht vor; dass auch westliche Mächte imperiale Ambitionen hegten, leugnet er schlicht. Mit verzerrtem Blick zeichnet Karsh eine Karikatur der islamischen Geschichte.
Sicher war der Islam in seiner Geschichte keineswegs immer so friedfertig, wie Gläubige und Apologeten gerne behaupten. Karsh aber stilisiert ihn zur totalitären Welteroberungsideologie und stützt sich dabei auf den Dschihad-Begriff. Dass dieser Begriff von der überwiegenden Mehrheit der Muslime in einem friedlichen Sinne oder zumindest rein defensiv verstanden wird, verschweigt er. Bin Laden ist ihm Beweis genug für eine imperialistische Kontinuität des Islam. Das ist geschmacklos – nicht nur, weil sich die Gewalt von al-Qaida in erster Linie gegen andere Muslime richtet. Es ist auch dumm, weil selbst Bin Laden stets von Widerstand und Befreiung islamischer Erde spricht, nicht von der Eroberung anderer Länder. Man kann seiner Terrorsekte sicher vieles vorwerfen. Aber Imperialismus?
Wissenschaftlich gesehen ist Karshs plattes Pamphlet völlig wertlos. Erstaunlich nur, dass es in einem seriösen deutschen Verlag erscheint und in der deutschen Presse bislang sogar recht wohlwollende Rezensionen erfahren hat. Das muss man wohl als ein Symptom des gegenwärtigen Zeitgeists betrachten. DANIEL BAX
Efraim Karsh: „Imperialismus im Namen Allahs. Von Mohammed bis Bin Laden“. Aus dem Englischen von Andreas Wirthensohn. DVA, München 2007, 400 Seiten, 24,95 Euro