■ Der deutsche Schriftstellerverband wählte auf seinem Jahreskongreß Erich Loest zu seinem neuen Vorsitzenden: Wenig Beifall für Heinrich Böll ...
Schriftstellerverbände, das gilt auch für den PEN, haben ihren Sinn als Schutzorganisation für verfolgte, inhaftierte, zensierte und ins soziale Abseits gedrängte Kollegen in aller Welt. Auch an Übersetzer, Journalisten und Bürger muß gedacht werden, die unterdrückte Informationen weitergeben, die Berichte – auch Gedichte! – abschreiben, bewahren oder in die Öffentlichkeit bringen. Es ist wichtig und richtig, sich für Bahman Nirumand einzusetzen, wenn er zum zweiten Mal aus dem Iran fliehen muß und an der französischen Grenze festsitzt. Auch beim Bemühen um Wohnung und Arbeitserlaubnis kann ein Briefkopf eines bundesdeutschen Verbandes mitunter helfen. Es macht Sinn, Lothar Herbst eine gute Einladung zu verschaffen und ein Stipendium, damit er zur medizinischen Behandlung nach Berlin kommen kann. Wer das ist? Ein Lyriker aus Polen, der verhaßt war bei den dortigen Behörden wegen seiner Sympathie für Solidarność. Es ist nützlich, einer Famile aus Indonesien eine Nähmaschine zukommen zu lassen, damit eine oder einer literarisch weiterarbeiten kann und die Existenz gesichert ist durch Brotarbeit.
Warum haben sich Heinrich Böll, Siegfried Lenz, Anna Jonas, Esther Dischereit, Günter Grass, Herta Müller und andere um solche „Fälle“ gekümmert? Aus Langeweile? Weil sie den guten Menschen spielen wollten? Der Nobelpreisträger Böll rief manchmal abends an und fragte zum Beispiel nach der Telefonnummer einer Frau aus Dresden oder Jena, deren Mann oder Tochter in politischer Haft saß. Er wollte „nur etwas tun“. Meist half es. Daß die Haftentlassung in deutsch-deutschen Zusammenhängen oft mit einer Ausbürgerung verbunden war, ist eine bittere Zugabe, Helfer und gewiefte Diplomaten mit Schnur- und Stolpe-Miene standen eben bereit... Und wenn ich an heutige Schwierigkeiten im Lande denke: Ich habe auch nichts gegen Sozialpolitik und Interessenvertretung, Verlage und Sender geben in der Regel nichts freiwillig ab. Doch das, worum es geht, ist mehr als der Job eines „Agenten, der unsere Interessen im Markt vertritt“ (Peter Schneider an Monika Maron als Vorschlag „statt eines Verbandes“).
Der westdeutsche Schriftstellerverband (VS) ist daran zerbrochen, daß die Verteidigung der Menschenrechte nicht für verfolgte Kollegen in allen Diktaturen galt. In Chile ja, in Polen nur mit Einschränkungen und Verrenkungen ideologischster Art – bis weit in die SPD und Gewerkschaft hinein, Detlef Hensche! Da wurde dann zaghaft die „Wiederzulassung eines Verbandes“ gefordert, nicht des von den Kriegsrechtlern verbotenen polnischen Schriftstellerverbandes und PEN! An diesem widerlichen Anbiedern ist der VS zerbrochen! Heinrich Böll sagte auf dem Saarbrücker Kongreß 1984: „Ich bin einer der ersten, wenn nicht überhaupt der erste deutsche Autor gewesen, der sich eindeutig zu Polen äußerte. In einer Situation, als alle noch schwankten und spähten und schwiegen und nicht wußten, was zu tun ist.“ Dieses Schwanken, Spähen und Schweigen ist bis heute zu erleben. Die einen können sich nicht an ihre taktische Haltung im Großen Politischen Geschäft erinnern (lieber ein Bonbon von Erich Honecker!), die anderen waren nie oder selbstverständlich IMs, weil die Akten weg sind oder alles sowieso egal und relativ ist.
Die Verteidigung des einzelnen und der Demokratie ist nicht egal. Der Druck der alten und neuen Rechten wird wachsen, auch der des Geldes und der Demagogie. Hitler und Stalin und ihre Verbrechen werden wieder chic und wählbar – bis es keine freien Wahlen mehr gibt. Und vielleicht soll auch Ralph Giordano endlich seinen Mund halten, Morddrohungen bekommt er schon. Ich bekomme auch welche. Als ich auf den VS-Kongressen 1983 und 1984 sprach, wußte ich nicht, daß die DDR-Stasi mich mit Haftbefehl suchte. Eine Transitfahrt hätte genügt. Ich sage das nur am Rande. Ein echter Schriftstellerverband wäre gut.
Erich Loest kann man trauen. Nach zwei Weltkriegen muß ein neuer „Polenplan“ vielleicht nicht unbedingt sein. Der Lyriker Richard Krynicki schrieb: „Wenn ich zu rufen haben werde / ,Es lebe Polen‘ – in welcher Sprache werde ich es tun müssen?“ Krynicki und andere kann man einladen, kennenlernen, besuchen und übersetzen. Adam Zagajewski aus Kraków war Gast in Saarbrücken. Es gab wenig Beifall, als er sprach. Ihm erging es wie Heinrich Böll. Und diese Unfreundlichkeit, dieses Lauern, Taktieren und Wegbügeln hat mit uns hier zu tun! Auch mit der unheimlichen Anhänglichkeit von Geistesarbeitern an jeweilige Diktaturen, Einheitsparteien und Heilsbringer. Damit mal aufzuhören wäre nicht schlecht. Jürgen Fuchs
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