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Archiv-Artikel

Der böse Geist verflüchtigt sich

Einst ebnete er den Rechtspopulisten um Jörg Haider den Weg in Österreichs Regierung. Nun tritt Wolfgang Schüssel als Kanzler ab: Eine konservative Ära geht damit zu Ende

Haider war nur noch ein Clown. Doch seine Partei machte in Wien bis zuletzt knallhart rechte PolitikGusenbauer sei „roter Kanzler unter einer schwarzen Regierung“, unken manche schon. Das muss sich zeigen

Wenn Alfred Gusenbauer heute als österreichischer Bundeskanzler vereidigt wird, dann ist das Bedeutendste am Amtsantritt der neuen Regierung der Abtritt der alten. Schließlich geht damit fast beiläufig und betont lässig zu Ende, was vor sieben Jahren mit Dramatik, Pathos und viel Emotion begonnen hatte. Denn auch wenn es beinahe schon vergessen erscheint: Die Regierung, die jetzt abtritt, ist aus jener Koalition von ÖVP und Jörg Haiders FPÖ hervorgegangen, deren Bildung im Jahr 2000 in Österreich zu Massendemonstrationen führte, Europa in eine schwere Krise stürzte und bilaterale Sanktionen der – damals 14 – anderen Mitgliedsländer der EU nach sich gezogen hatte.

Man sollte zum Abtritt noch einmal daran erinnern: Wolfgang Schüssel, der Chef der konservativen Volkspartei, hatte ein europäisches Tabu gebrochen und mit den Freiheitlichen Jörg Haiders, für die das Attribut „rechtspopulistisch“ nur eine Hilfsvokabel war, eine Regierung gebildet. Rechtspopulisten gab es auch anderswo, sie dümpelten – als politischer Bodensatz beklagt – bei gelegentlich zehn, vielleicht fünfzehn Prozent der Stimmen. In Österreich aber erkämpfte Haiders Rechtsaußenpartei in ihren besten Zeiten 27 Prozent der Stimmen, worauf die aggressiv rassistische Partei in die Regierung gehievt wurde.

Dieser Tabubruch hatte Folgen – vor allem natürlich für das Land selbst. Schürte Haiders Populistentruppe bis dahin das Ressentiment mit großem Outcast-Getue gegen „das Establishment“, so veränderte sich das Setting nun. Es wurde knallhart rechts regiert. Das Land war in der Mitte gespalten, und blieb es auch in den nächsten sieben Jahren. Hier der schwarz-blaue Block, da alle anderen.

Schneidige rechte Säbelfechter zogen in Ministerien und Universitätsräten ein, und wer sich nicht einreihte, der wurde weggeräumt – dem Motto des damaligen ÖVP-Fraktionschefs Andreas Khol entsprechend, er könne „die roten Gfrieser“ nicht mehr sehen. Dass die Asylgesetzgebung brutal verschärft wurde, versteht sich ohnehin von selbst. All dies fand bis zuletzt statt, wenn auch aus zwei Gründen zunehmend unterhalb der Wahrnehmungsschwelle: Einerseits, weil den Haiderleuten durch den Niedergang und am Ende der Spaltung ihrer Partei die Kraft zum Bösesein verloren ging. Andererseits aber auch, weil man sich an manches, was andernorts ein Skandal wäre, einfach gewöhnt hatte.

Vor diesem Hintergrund ist der Amtsantritt der neu gebildeten großen Koalition von SPÖ und ÖVP mehr als nur ein Regierungswechsel. Mag man den Begriff „Ende einer Ära“ gelegentlich inflationär bei der Hand haben, so gehen in diesem Fall doch einige ziemlich düstere Jahre zu Ende. Nach Haider, am Schluss nur mehr ein Clown, geht jetzt auch Schüssel, der sich als der eigentliche böse Geist der österreichischen Innenpolitik erwiesen hatte. Das macht die Luft besser.

Angesichts dessen relativieren sich die kritischen Kommentare, die den neuen Kanzler Alfred Gusenbauer ins Amt begleiten. Er habe sich vom ausgebufften Schüssel, der künftig kein Regierungsamt mehr bekleiden wird, bei den Verhandlungen Hemd und Hosen ausziehen lassen, ist da unisono zu lesen. Leitartikler nennen Gusenbauer gar einen „roten Kanzler unter einer schwarzen Regierung“.

Gemach, gemach. Stimmt schon, die ÖVP wird ebenso viele Minister stellen wie die SPÖ, die traditionellen Prestigeposten Finanzen, Inneres und Äußeres bleiben unter Kontrolle der Volkspartei. Zudem mussten sich die sozialdemokratischen Verhandler bei einer Reihe von Themen der konservativen Seite beugen. So werden die Studiengebühren nicht abgeschafft, und auch der Ausstieg aus dem Eurofighter-Kauf, einem höchst umstrittenen und skandalumwittert-undurchsichtigen Rüstungsdeal, ist vorerst jedenfalls vom Tisch. Freilich, wie schon im Vorjahr in Deutschland, erwies sich auch in Wien nun: Wenn zwei praktisch gleich starke Parteien eine große Koalition bilden und die eine den Kanzler stellt, lässt sich die andere den Eintritt in den Juniorstatus versüßen.

Mit dem Ausscheiden der beiden freiheitlichen Spaltprodukte BZÖ und FPÖ aus der Regierung ist der direkte Zugriff xenophober Radaubrüder auf die Politik fürs Erste gestoppt. Und das ist ein gehöriger zivilisatorischer Fortschritt – auch wenn die Gefahr eines Wiederaufstieges der Rechten keineswegs gebannt ist. Aber auch die österreichischen Konservativen dürften wohl wieder mehr in Richtung des liberalen Mainstreams der europäischen Christdemokratie rücken. Dafür spricht nicht nur der sanfte Relaunch der ÖVP-Regierungsriege, sondern vor allem der Abgang von Wolfgang Schüssel. Der aus dem Amt gewählte Kanzler will zwar noch Fraktionschef bleiben, ab sofort ist aber sein bisheriger Gefolgsmann Wilhelm Molterer als designierter Parteichef, Finanzminister und Vizekanzler die Schlüsselfigur der Christdemokraten. Für weiteres Liebäugeln mit Rechtsaußen dürfte der ÖVP für geraume Zeit jedenfalls die Kraft fehlen: Sie braucht einen Generationswechsel. Zudem wird, auch wenn der Übergang scheinbar wie geschmiert lief, die Abbrechung mit der Ära Schüssel wohl bald mit aller Wucht einsetzen.

Das ist es, was den neuen Kanzler Alfred Gusenbauer, mag er sich in den Regierungsverhandlungen auch bis zur Selbstaufgabe konziliant gezeigt haben, zumindest die potenzielle Möglichkeit gibt, eine Regierungspolitik mit eigener Handschrift zu entwickeln. Anders als in den meisten Ländern Europas werden die Sozialausgaben in den nächsten Jahren jedenfalls nicht zusammengestrichen, sondern erhöht. Die paktierte Grundsicherung von 726 Euro ist ein Herzstück der Regierungsvereinbarung. Bessere Schulen und Investitionen in Bildung werden wohl den Schwerpunkt der Regierungsarbeit bilden, zumal sich das Bildungsthema überraschenderweise als wahlentscheidend erwiesen hatte. Insofern hat Gusenbauer, auch wenn er sich das Verhandlungsergebnis notgedrungen schönreden will, nicht ganz unrecht, wenn er sagt, mit dem Infrastruktur-, dem Bildungs- und dem Sozialministerium habe er seiner Partei genau die Ressorts gesichert, die er für seine Politik braucht.

Wahrscheinlich hätte Gusenbauer mit mehr Verhandlungsgeschick mehr herausholen können. Aber letztlich ist das nicht der Punkt. Über den Erfolg oder Misserfolg des Bauarbeitersohnes und Ex-Juso-Vorsitzenden wird weniger die Besetzung prestigeträchtiger Ministerien entscheiden noch der eine oder andere Absatz im Regierungsprogramm. Entscheidend dafür wird sein, ob die „neue soziale Frage“ und die Gerechtigkeitsschere auf eine Weise angegangen werden, die den rechten Populisten den Wind aus den Segeln nimmt. Denn die haben von wachsender Chancenarmut, Zukunftsangst und der Gereiztheit der Unterprivilegierten bisher prächtig profitiert. Kurzum: Entscheidend wird sein, was die Minister, mit denen Gusenbauer seine Politik umsetzen will, aus ihren Posten machen.

ROBERT MISIK

Fotohinweis:Robert Misik lebt in Wien und schreibt für die taz, für „Falter“ und „Profil“. Sein Buch „Genial dagegen. Kritisches Denken von Marx bis Michael Moore“ erschien 2006 (Aufbau Verlag), seinen Blog kann man unter www.misik.at lesen.