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Der bittere Preis

■ betr.: „Antikommunist aus innerer Verletzung“, taz vom 18.3.1994

Es schmerzt, so viele ehemalige politische Weggefährten zu verlieren, aber um der politischen Orientierung willen ist es richtig und wichtig, daß sich zunehmend „Spreu und Weizen“ trennen. Beispiel hierfür ist der Aufruf an die Regierungen Europas und die UN, nun endlich im ehemaligen Jugoslawien aufzuräumen, auch wenn das den Beginn eines großen, alles bisher Geschehene um ein Vielfaches überschreitenden Balkankrieges bedeuten würde (unterschrieben von ehemaligen PazifistInnen und KriegsgegnerInnen gemeinsam mit alten und neuen Rechten). Und nun als jüngstes der Vorgang, den die taz in der Unterzeile betitelte: „Linke unterzeichnen Ehrenerklärung für rechte Kultur-Chefs der Welt“.

[...] Was passiert da? Ich denke, diese Rechtsentwicklung ehemalig Linker läßt erkennen, daß es schlicht großer Kraft und tiefer Sensibilität bedarf, um auch in diesen unsicheren Zeiten sich die menschenrechtliche Utopie zu bewahren. So bleibt uns das Trauerspiel nicht erspart, daß langjährige Akteure der APO, der 68er-, der Friedens- und der Bürgerrechtsbewegung, die so viel an Liberalität und Opposition mit in Gang gesetzt haben, aus blankem und zudem falsch verstandenem Opportunismus nun in den reaktionären Sumpf absinken.

Aber wir sollten bei allem zusätzlichen politischen Schaden, der da für eine eventuell noch denkbare humanere Gesellschaft angerichtet wird, nicht übersehen, daß dieses Geschehen sich vor allem in der dünnen Luft steriler Politik und im Wechselspiel mit einer korrupten politischen Klasse abspielt. Zugleich aber engagieren sich noch immer – wenn auch ohne Großdemonstrationen – Tausende kleiner Gruppen in der Graswurzelarbeit. Sie geben den Weg der kleinen Schritte nicht auf und verlieren auch nicht den langen Atem.

Ich kenne leider viele derjenigen, die diesen rechten Durchmarsch jetzt vollziehen, persönlich und möchte nicht in ihren Identitätskrisen stecken, denn um ihrer unterdrückten und verdrängten Gewissensnöte willen tun sie mir leid. Aber dies ist der bittere Preis: sie wollten immer auf der Seite des „Zeitgeistes“ stehen, und so mußten sie, wie es dem „Zeitgeist“ zu eigen ist, selbst Wendehälse werden.

Traurig bin ich auch, daß so manches politische Talent verkommt. Aber wir müssen die Dinge nehmen, wie sie sind, dabei jedoch menschenrechtlich, friedenspolitisch und demokratisch dagegenhalten, damit nicht alle unsere früheren Freundinnen und Freunde so weit mutieren, daß sie eines Tages ideologisch rechts von den Reps landen. Klaus Vack, Sensbachtal

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