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Der „astreine“ Deutsche

■ Eine satirische Kurzgeschichte gegen den Haß auf Fremdes, modifiziert nach Ralph Linton 1936

Von Claus Euler

Unser solider deutscher Bürger erwacht in einem Bett, das nach dem Vorbild des Nahen Ostens die beste Schlafstellung ergibt und über Skandinavien bei uns heimisch wurde. Er wirft die Decken zurück, die aus Baumwolle indischer Herkunft oder aus Leinen, das im Nahen Osten seinen Ursprung hat, gefertigt sind, steht auf und hüllt sich in seinen seidenen Morgenrock, dessen Material aus China stammt. Er schlüpft dabei in seine Moccasins, die er von den Indianern her kennt und geht ins Badezimmer und wäscht sich zunächst das Gesicht mit Seife, einer Erfindung der alten Gallier. Sodann unterzieht er sich dem masochistischen Ritual einer Bartrasur, was uns zuerst wohl die Sumerer oder alten Ägypter vormachten. Zurück im Schlafzimmer entfernt er seine Kleider von einem südeuropäischen Stuhl und beginnt sich anzuziehen. Seine Unterwäsche hat einen Schnitt wie die ursprüngliche Lederkleidung der Nomaden asiatischer Steppen; die Schuhe sind aus Leder gefertigt, wie man es zuerst im alten Ägypten nachweisen konnte und die nach einem Vorbild klassischer mediterraner Zivilisationen geschnitten sind. Um seinen Hals bindet er sich ein Stück bunten Stoff, bei uns „Schlips“ genannt, der ein Überbleibsel der Schulterschals ist, die man im Kroatien des 17. Jahrhunderts trug. Bevor er das Haus verläßt, prüft er sein Äußeres in einem Spiegel, dessen Glas in Ägypten erfunden wurde und streift sich - falls es regnen sollte - die Gummiüberschuhe über, die aus dem Material gemacht sind, das die Indianer Zentralamerikas entdeckten. Zusätzlich greift er sich den Regenschirm, der seine Heimat in Südostasien hatte. Er bedeckt sein Haupt mit einem Hut aus einem Material, das aus den asiatischen Steppen zu uns fand. Auf seinem Weg zum Frühstücksrestaurant kauft er am Kiosk schnell eine Zeitung, die er mit einer Münze bezahlt, einer lydischen Erfindung. Im Restaurant überfällt ihn geradezu eine Serie neuer, fremder Dinge: Sein Teller vor ihm ist das künstlerisch geschaffene Ergebnis des Töpferhandwerks, zuerst nachge wiesen in China. Das paratliegende Messer ist aus Stahl, einer Legierung, die zuerst in Südindien ausprobiert wurde. Die Gabel auf der anderen Seite des Tellers ist eine mittelalterliche, italienische Erfindung und sein Löffel ist die Nachbildung eines original römischen Eßinstrumentes. Er beginnt sein Frühstück mit einem Orangensaft, einer Frucht aus dem Mittelmeer raum, ergötzt sich dabei an der Schale frischer Erdbeeren, die ihre Herkunft in Südchile haben und läßt auch den Granatapfel aus Kleinasien nicht außer acht. Bei all den Köstlichkeiten überlegt er, ob er wohl eher Tee (ein chinesisches Getränk) mit Zitrone (die aus Nordindien stammt) oder Kaffee trinken soll, dessen Ursprungsland er nie in Äthiopien vermutet hätte. Zu bei dem pflegt er Zucker zu nehmen, der zuerst in Indien hergestellt worden sein soll. Nach dem Genuß weiterer exotischer Früchte schreitet er zu den herrlichen Waffeln, einer Art leichtem Kuchen, dessen Herstellungstechnik wir den Skandinaviern verdanken und dessen Grundstoff Weizen aus dem nun schon bekannten Kleinasien stammt. Er bevorzugt, statt der heißgemachten japanischen Kirschen, den Syrup, den die Indianer uns überlieferten. Eigentlich ist er schon reichlich gesättigt, doch ein Frühstücksei gehört eben dazu. Es stammt von einer Rasse Vogel, die erstmals in Indo– China domestiziert worden war. Dazu ein Stück geräuchertes Fleisch - eine Konservierungsart aus Nordeuropa - rundet den Geschmack ab und er fühlt sich so richtig wohl. Er bittet den Ober, ihm Rauchware vorzuführen, um seiner Gewohnheit, die er von den Amerikanern übernommen hat, frönen zu können und entscheidet sich bei dem vielen Angebot für den Tabak (eine Pflanzenzüchtung aus Brasilien) in Papier, eine Zigarette also, deren Herstellung wir aus Mexiko kennenlernten. Seine Pfeife, eine Umgestaltung des ersten Rauchinstrumentes der Virginia– Indianer, hat er zuhause gelassen und den Qualm einer Zigarre - die ihren Weg von den Antillen über spanische Eroberer zu uns fand - will er den übrigen Gästen, die sich noch genießerisch der unterschiedlichen Kulinaria erfreuen, nicht zumuten. Er greift zur Zeitung, die er am Kiosk erworben hatte und beginnt die gedruckten Buchstaben zu entziffern. Er ist gebildet und weiß, daß die Druckkunst eine ursprünlich deutsche ist; würde man ihm jedoch sagen, daß die Zeichen von den Semitern erfunden wurden, um sie dann hier auf Papier, einem chinesischen Material abzubilden, so würde er sicher seinen Bildungshochmut und sein Überlegenheitsgefühl zurücknehmen müssen, denkt er insgeheim. Er wendet sich jedoch wieder den Nachrichten des Tages zu, saugt gierig die Neuigkeiten des Auslandes in sich und - falls er ein guter, konservativer Bürger ist - dankt einer hebräischen Gottheit in einer indo–europäischen Sprache, daß er ein...hundertprozentiger Deutscher ist.

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