: Der andere Libanon
Nachdem die Demokratiebewegung ein paar Tage die Straße beherrschte, demonstriert nun Hisbollah: für Syrien, gegen die USA und Israel
AUS BEIRUTKARIM EL-GAWHARY
Im Libanon ist ein Wettkampf ausgebrochen, wer mehr Menschen auf die Straße bringt und somit tatsächlich im Namen der Libanesen spricht. Seit der Ermordung des ehemaligen Premiers Rafik Hariri war es in den vergangenen Wochen die libanesische Opposition, die auf den Straßen Beiruts demonstrierte. Sie forderte den Abzug der syrischen Armee. Gestern hingegen schlug erstmals die Stunde Hisbollahs und der prosyrischen Gruppierungen.
Mit einer massiven Demonstration, die die Zahl der Menschen auf antisyrischen Protesten der letzten Wochen bei weitem überstieg, zeigte Hisbollah seine Muskeln. Bahgadt Wusni ist einer der Demonstranten, der geduldig in einer Seitenstraße zum überfüllten Demonstrationsort im Zentrum Beiruts wartet. „Wir wollen heute die wirklichen Gefühle der Libanesen zeigen“, erklärt der 20-Jährige: „ Für die libanesische Einheit! Für den Widerstand gegen Israel und Dankbarkeit gegenüber Syrien!“
Auch die gestrigen Demonstranten sind nicht mit den üblichen gelben Bannern der Hisbollah erschienen, sondern mit der libanesischen Nationalflagge, genauso wie die Anhänger der libanesischen Opposition, die auf dem unmittelbar benachbarten Platz der Märtyrer gleichzeitig für den Abzug der Syrer demonstrieren. „Wir wollen zeigen, dass für viele Libanesen nicht die Syrer das Problem darstellen, sondern die amerikanische Einmischung in unsere inneren Angelegenheiten“, sagt Muhammad Fneisch, Chef der Hisbollah-Fraktion im libanesischen Parlament, gegenüber der taz am Morgen vor der Demonstration.
Fneisch betont, dass diese Demonstration sich nicht gegen irgendeine libanesische Gruppe richtet. „Hisbollah stimmt mit der Opposition überein, dass die Syrer im Libanon Fehler gemacht haben, die korrigiert werden müssen, aber anders als ein Teil der Opposition sind wir gegen ausländische und vor allem amerikanische Einmischung in libanesische Politik. Viele der Demonstranten halten Schilder gegen die UN-Resolution 1559 hoch, die nicht nur einen Rückzug der Syrer, sondern auch eine Entwaffnung aller Milizen im Libanon fordern. „Die Resolution 1559 ist ein Codewort für ausländische Intervention“, meint einer von ihnen. Hisbollah ist die einzige Organisation, die auch nach dem Rückzug der israelischen Truppen aus dem Südlibanon vor fünf Jahren ihre Waffen behalten hat.
Die Hisbollah, deren Mitglieder schiitische Muslime sind, hat ursprünglich gegen die israelische Besetzung des südlichen Libanon gekämpft. Inzwischen hat sie sich zu einer Organisation mit politischen, militärischen und sozialen Flügeln entwickelt und stellt etliche Mitglieder im libanesischen Parlament. Da die Hisbollah nach wie vor auch eine bewaffnete Organisation ist, haben die USA sie als terroristische Vereinigung eingestuft. „Uns als eine Miliz zu bezeichnen, ist eine Beleidigung“ meint Fneisch. „Eine Miliz benutzt ihre Waffen, um ihre Interessen innerhalb eines Landes durchzusetzen, wir sind ein Teil des Widerstands gegen Israel und sind zum Schutz der libanesischen Souveränität da“, sagt er dazu. Wenn wir die Immunität des Libanon militärisch vor ausländischer Einmischung schützen können, dann ist das auch gut für eine unabhängige politische Kultur im Land“, fügt er hinzu.
Er verwirft ärgerlich die Interpretation, dass mit dem Rückzug der Syrer aus dem Libanon der Einfluss Hisbollahs geschwächt werde. Syrien unterstütze die Hisbollah traditionsgemäß politisch und logistisch.
„Das Argument, dass wir ein syrisches oder iranisches Produkt sind, stellt nicht in Rechnung, dass unsere Macht von der libanesischen Gesellschaft selbst stammt, wie die heutige Demonstration beweist.“ Die Rolle Hisbollahs werde nicht schwinden. Im Gegenteil: Hisbollah sei eine politische Macht im Libanon, die nicht ignoriert werden könne. Die Ereignisse der letzten Wochen würden dazu führen, dass sich Hisbollah in Zukunft mehr vom militärischen Feld gegen Israel auf das politische Feld innerhalb des Libanon konzentrieren werde.
Auf die Frage, ob Hisbollah selbst nicht langfristig dem amerikanischen Druck nachgeben muss, lacht Fneisch. Er wisse natürlich, dass die Amerikaner nie den Widerstand Hisbollahs gegen die israelische Armee akzeptiert habe und nie auf der Seite Hisbollahs stehen würde. „Wenn wir auf die Amerikaner gehört hätten, dann hielten die israelischen Truppen immer noch den Südlibanon besetzt.“