: Der achtzehnte Mann
Vorrennen zum America’s Cup 2007: Segel, die keine Segel sind. Yachten, die schneller segeln, als der Wind weht. Und mittendrin eine Kunstkritikerin, die das rein Ideelle findet
VON BRIGITTE WERNEBURG
Der achtzehnte Mann an Bord gehört nicht zur Crew. Er ist Gast des Teams. An Bord, mit der Mannschaft auf dem Spielfeld zu sein: das sei eine einzigartige Erfahrung, die es nur hier gebe und nicht gekauft werden könne. So steht es in der Broschüre, die ich bei der „Morning Show“ eingesteckt habe, in der das BMW Oracle Racing Team über Boot, Mannschaft, Technik und Austragungsort des America’s Cup, der Formel 1 des Segelsports, informiert. Der achtzehnte Mann an Bord bin ich! Und heute werden Vorsegel getestet.
Nur redet niemand von „Vorsegel“. Es wird überhaupt wenig geredet. Kommandos, scheint mir, höre ich überhaupt nicht. Jeder der Männer, die über Jahre tagaus und tagein auf dem Boot trainieren, weiß genau, was zu tun ist. Im Übrigen gibt es keine Segel. Es gibt nur Codes. Was aussieht wie ein Segel, ist eine Nummer. Gewöhnliche Worte wären viel zu ungenau, das zu bezeichnen, was dieses Schiff vorantreibt. Man könnte es für eine besonders schnittige Segelyacht halten, aber es ist etwas ganz anderes. Es ist ein Labor für ganze Stäbe von Wissenschaftlern und Ingenieuren. Sie wollen mit diesem Instrument die Grenzen des Möglichen immer noch ein wenig weiter hinausschieben. Der Wind ist heute nur ein laues Lüftchen. Das Messgerät zeigt 6,7 Knoten an. Wir gleiten mit 8,3 Knoten durch die Wellen des Mittelmeers. Das sind etwa 18 Stundenkilometer.
Nicht viel, so scheint mir nach den drei Stunden Autofahrt am Vortag. Mit dem neuesten Modell des 3er BMW Touring bin ich da durch die Canyons in der Umgebung von Valencia geflitzt. Als eine unter vielen, in einem ganzen Pulk von Journalisten. Denn man kann den achtzehnten Platz an Bord zwar nicht kaufen, aber verdienen muss man ihn sich schon: als Testfahrerin des 163 PS starken Vierzylinder-Diesels mit Sechs-Gang-Getriebe. Das ist auch der eigentliche – zugegeben sehr vergnügliche – Anlass der Pressereise.
Die Landschaft ist großartig und nur in Haarnadelkurven zu bezwingen. Auf der Hochebene angekommen, bilden riesige Weintanks die Wegmarken und schließlich das Ziel. Nach dem dritten Cava in einer Weinkellerei aus der Jahrhundertwende war ich mir sicher, dass ich vom Kunst- zum Motorjournalismus wechsle. Leider wurden da die wunderschönen 3er-Tourings schon wieder in die vier Lastwagen verladen, in denen sie nach München zurückfuhren. Wer Autos der BMW-Preisklasse verkaufen will, so Thomas Plath, bei BMW verantwortlich für Designstrategie, muss mehr zu bieten haben als Autos. Etwas rein Ideelles scheint er zu meinen, etwas absolut Unbezahlbares aus einer Welt weit jenseits des Alltags von Straßen, Tankstellen und Lackschäden. Ein Kunstwerk wie dieses Boot, auf dem ich der achtzehnte Mann sein darf, denke ich – und dass Kunstkritik eben doch mein Job ist.
Achtzehn Stundenkilometer sind schneller als der Wind heute bläst, aber ohnehin kommt es nicht auf die absolute Geschwindigkeit an. Der America’s Cup ist ein Match Race. Auf einem festgelegten Kurs segeln jeweils zwei Boote gegeneinander. Die Regeln sind streng, der Wettkampf ist eher ein Schachspiel um Positionen als ein offenes Rennen. Weitsichtige Taktik schon beim Start und blitzschnelle, überraschende Manöver entscheiden über Sieg oder Niederlage. Gewonnen hat am Ende der, der die komplexen Entscheidungen am besten meistert.
Der nächste Kampf um die silberne Kanne, die Queen Victoria anlässlich der Londoner Weltausstellung von 1851 für eine Regatta um die Isle of Wight stiftete, findet erst in zwei Jahren statt. Über vier Jahre erstreckt sich die publikumswirksam aufgewertete Vorbereitung – erstmals gibt es „Louis Vuitton Acts“ genannte Vorrennen, und das Boot, auf dem das BWM Oracle Racing Team teilnehmen wird, ist noch gar nicht fertig. Zwei seiner Vorläufer, die „USA 71“ und die „USA 76“, segeln heute auf einem Übungskurs gegeneinander, der weit im offenen Meer vor Valencia ausgesteckt ist. Nach einer scharfen Wende um die letzte Tonne wird der Code gewechselt. Ein neuer Kurs beginnt, der wieder mit der alles entscheidenden Wende um die Tonne endet. Nach vier Trainingsrunden liegt die „USA 71“, auf der ich mitsegle, drei zu eins vor der „USA 76“, auf der immerhin der dreifache Weltmeister und vierfache Cup-Teilnehmer Chris Dickson die Regie führt. Doch dieses Verhältnis besagt nichts. Computer haben alles aufgezeichnet, was sich an Bord ereignet hat. Erst die Auswertung dieser Daten lässt Rückschlüsse zu, welche Modifikationen auf den Booten welchen Geschwindigkeitsgewinn erbracht haben.
Mickey Ickert fährt im Begleitboot mit, um von dort aus jede Phase des Trainings zu filmen. Ickert kam 1963 im Urban-Krankenhaus in Berlin-Kreuzberg zur Welt. Er ist Segeldesigner an der Spitze einer 15-köpfigen Spezialistengruppe, dem Aerodynamic Team. Zweimal, 1995 und 2000, hat er mit dem neuseeländischen Team am Cup teilgenommen – und ihn zweimal gewonnen. Das könnte – nun, da er beim BMW Oracle Racing Team angeheuert hat – 2007 für das amerikanische Team ein gutes Omen sein. Jede Sekunde scheinen seine Augen jeden Zentimeter der Segel zu scannen. Jede Falte, jedes Knittern, Schlagen oder gar Flattern kostet Geschwindigkeit. Als Junge hat er auf dem Tegeler See segeln gelernt, nach der Schule. „Gut, dass die bei uns um 12 Uhr zu Ende war“, sagt er in einem Deutsch, dessen Akzent inzwischen deutlich vom Englischen geprägt ist.
Die Segel müssen bretthart stehen. Dafür sorgen die einzigen Männer an Bord, die mit beachtlichen Muskelpaketen auf den Schultern auch an Land Aufsehen erregen könnten. Sie heißen „Grinder“ und spannen mit mächtigen Winden die Schoten, also die Leinen, mit denen die Segel festgesetzt und getrimmt werden. Zum Reißen gespannt, reiben die Schoten über das Deck, und das Boot wird zu einem einzigen Resonanzkörper, der unter der gewaltigen Last wie eine verzerrte E-Gitarre ächzt und stöhnt. Mit 50 Tonnen drückt der Mast auf den Rumpf. Wenn es den Konstrukteuren nicht gelingt, diese Kräfte über die Stützdrähte des Masts, Wanten und Stagen genannt, in den gesamten Bootskörper abzuleiten, kann so ein Schiff auch mal mitten entzweibrechen, wie es dem australischen Team 1995 passierte. Nach zwei Minuten war ihr Boot gesunken. Unseres ächzt nur. Als sei Jimi Hendrix als neunzehnter Mann an Bord. Habe ich im 3er BMW eigentlich irgendeinen Ton gehört?
Höchstens 26 neue und 20 alte, bereits vermessene Segel dürfen beim America’s Cup zum Einsatz kommen. Das Segel, das zufälligerweise die Nummer meines Hotelzimmers trägt, ist so auffallend geschnitten, dass selbst ich darauf zu sprechen komme. Aber darüber wird nicht gerne geredet. Der Gegner im Kampf um den Cup ist ebenso hochgerüstet. Die Geheimnisse der eigenen Waffen sollen ihm nicht verraten werden. Selbst die Bilder auf der Foto-CD, die ich zur Erinnerung geschenkt bekomme, zeigen immer nur Teile des Bootsrumpfs und die Mannschaft bei der Arbeit. Alles andere ist verschwunden. Also habe auch ich es nicht gesehen. Mein Gedächtnis hat nur eine Art extrem dünner Bastmatten gespeichert.
Tatsächlich bestehen die Codes aus so genanntem Mylar-Kunststoff und mehreren Lagen dreidimensional geformter und nahtlos verklebter Kohlefaser. Sie halten bislang undenkbare 50 Wettkampfstunden durch. Stolze 218 Quadratmeter misst das Großsegel, 150 das Vorsegel, Genua genannt. Seit neuestem interessiert sich der Flugzeughersteller Boeing für die Technik, derart große, komplex geformte Flächen zu laminieren. Boeing möchte gerne Flugzeugflügel aus Kohlefasern bauen, die ebenso leicht und belastbar sind.
Jedes Gramm zählt. Nur Computer können berechnen, wo mehr oder weniger Lagen von Kohlefasern verklebt werden müssen, damit die Segel bei minimalem Gewicht reißfest sind, optimal zum Wind stehen und maximalen Vortrieb leisten. Die Software, die sämtliche Messungen an 120 Punkten des Bootes verarbeitet, stammt aus der Entwicklungsabteilung von BMW. Auch Autokarosserien müssen immer leichter und steifer sein.
Aber manchmal muss es auch ein Schwergewicht sein. 24 Meter lang und vier Meter breit ist der Rumpf der Yacht und wiegt gerade mal zwei Tonnen. Ohne die Bombe am Ende des vier Meter in die Tiefe reichenden Kiels wäre sie ein hilfloses Oper von Wind und Wellen. Die Bombe ist ein Bleigewicht von zwanzig Tonnen in Form eines Torpedos. Ihr Name ist irreführend. Sie wird niemals hochgehen. Im Gegenteil, sie drückt nach unten und richtet so das Boot auf, auch wenn es ganz hart am Wind segelt. Der gesamte Kiel sei so schwer wie elf BMWs der 5er Baureihe, sagt der Sponsor. Ein stattlicher Autokorso für eine so elegante, schlanke Konstruktion.
2007 wird der America’s Cup das spektakulärste Sportereignis des Jahres sein. Nach 153 Jahren findet die Regatta erstmals wieder in europäischen Gewässern statt. Die Stadt Valencia rechnet mit 10.000 neuen Arbeitsplätzen, 1,5 Milliarden Euro Mehrumsatz glaubt man zu erwirtschaften. Zum ersten Mal sind schwarze Segler dabei. Nicht weit entfernt von der „USA 71“ segelt die „Shosholoza“ auf Spinnackerkurs vor dem Wind. Golden Mgezda, Solomon Dipeere und Marcello Buricks stammen aus den Townships um Kapstadt. Ian Ainslie, ein Mathematiklehrer und Olympiasegler, hat sie mit seiner Izivnguvungu Foundation von der Straße geholt.
Segeln kann Sozialarbeit sein, meint Ainslie: Die Ghettokids lernen segeln und schwimmen und bekommen eine Ausbildung als Bootsbauer. Das Geld kommt von Salvatore Sarno, dem südafrikanischen Statthalter der international zweitgrößten Container-Reederei Mediterranean Shipping Company mit Sitz in Genf. Sarno finanziert auch die „Shosholoza“, die außerdem von T-Systems, einer Telekom-Tochter, unterstützt wird. Frei übersetzt bedeutet der Name des bunt bemalten Bootes „Ärmel hochkrempeln“.
Zu den Favoriten zählen die Südafrikaner nicht. Eher schon das US-Team von BMW Oracle, das 2003 im Finale der Herausforderer der Schweizer „Alinghi“ unterlag, die jetzt den Cup verteidigt. Aber eigentlich machen die Berliner die Sache unter sich aus: Jochen Schüman, vielfacher Olympiagewinner und siegreicher Sportdirektor der „Alinghi“, der auf dem Ostberliner Müggelsee das Segeln gelernt hat, gegen Mickey Ickert vom Tegeler See im Westen.
BRIGITTE WERNEBURG, Kunstredakteurin der taz, hat als Schülerin in der 470er Klasse Regatta gesegelt