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Archiv-Artikel

Der Wochenendkrimi Unheil nebenan

„Tatort: Der Tag des Jägers“, So. 20.15 Uhr, ARD

Dein Nachbar, das unbekannte Wesen. Öffnet man ihm die Tür, ist man verloren. Der kluge Kopf starrt deshalb durch den Spion und verharrt stille, wenn jemand aus der Wohnung nebenan klingelt. Ach hätten doch auch nur Herr und Frau Müritz (Oliver Stritzel und Marie-Lou Sellem) so getan, als wären sie nicht da! Doch jetzt steht Nachbar Paulus (Stephan Kampwirth) bei ihnen auf den schönen Holzdielen und will mit ihnen den Jahrgangschampagner trinken, den man ihm einst zur Hochzeit geschenkt hat.

Das kann nichts Gutes bedeuten. Schließlich liegt man mit dem Mann seit Jahren im Clinch, weil das Getrampel seiner Kinder nervt. Der wiederum macht die Müritz’ mit ihren ewigen Beschwerden dafür verantwortlich, dass ihn Frau und Kinder inzwischen verlassen haben. Nun trinken die drei bis in den Morgen Jahrgangschampagner. Man poltert den anderen an – und versucht doch nur die Wut im eigenen Kopf niederzuschreien. Und diese Wut wird bei Morgengrauen noch verstärkt durch den Hausmeister, der draußen mit einer Laubdüse für Ordnung sorgt. Praktisch, dass ein Jagdgewehr in der Wohnung steht. Der Hausmeister wird erschossen, seine Düse lärmt weiter.

Einen klaustrophobischen Thriller über Geborgenheitswahn und Kontrollverlust hat Niki Stein vorgelegt. Schon in seinen anderen Episoden des HR-„Tatorts“ leuchtete er auf eigene Weise die neurotischen Abgründe in den Mietskasernen und Eigenheimen Frankfurts aus. Es ging um Babys in Müllcontainern und S/M-Studios in Hobbykellern.

Hier nun rekonstruiert der Regisseur und Autor die mörderische Nacht fragmentarisch in Rückblenden; es gibt Andeutungen auf die psychische Versehrtheit der Protagonisten. Wie schon im Tatort „Das Böse“, der einst für Verstimmung unter den Freunden des gepflegten Ratekrimis sorgte, verweigert sich Stein aber der handlichen Sinnstiftung; küchenpsychologische Kniffe sucht man vergeblich. Die Zuschauer müssen mit den Kommissaren Sänger und Dellwo (Andrea Sawatzki und Jörg Schüttauf) durch ein Labyrinth aus Widersprüchen kämpfen, bis sie dem Handeln des verzweifelten Familientieres Paulus eine Logik abringen können. Ein kluger Psychoschocker über das unbekannte Wesen namens Nachbar. C. BUSS