: Der Vordenker
Drei ProfessorInnen für Behindertenpädagogik reichen, meint die Bildungs-Behörde. Das wäre das Ende des Faches, sagt Experte Georg Feuser
taz: Herr Feuser, erledigt sich Ihr Fachgebiet nicht von selbst, weil durch die pränatale Diagnostik immer weniger behinderte Kinder geboren werden?
Georg Feuser: Nein. Die bisherige Entwicklung zeigt, dass es insgesamt nicht weniger Menschen mit schweren Behinderungen gibt. Mit der pränatalen Diagnostik kann man nur einen winzigen Bruchteil an Behinderungen überhaupt entdecken. Mehr als zwei Drittel der geistigen Behinderungen haben keine genetische Ursache und entstehen im Lebensprozess. Nicht selten führen zum Beispiel auch die Versuche, frühgeborene Kinder am Leben zu erhalten, zu schweren Entwicklungsstörungen. Leben ist immer mit der Möglichkeit schwerer Beeinträchtigung verbunden.
taz: Es gibt also auch in Zukunft genügend Aufgaben für BehindertenpädagogInnen. Wie begründet die Bildungsbehörde, dass sie die Zahl der ProfessorInnenstellen an Ihrem Institut so stark reduzieren möchte?
Die Behörde hat da einen sehr engen Blick, der sich nur auf den Bedarf an SonderschullehrerInnen richtet. Sie ist der Meinung, die Ausbildung mit dem Schwerpunkt geistige Behinderung sei überflüssig, weil man diese LehrerInnen ja einfach auch aus anderen Städten importieren könnte.
Tatsächlich wird ja in Norddeutschland an vielen Orten Behindertenpädagogik gelehrt: In Hamburg, in Hannover, in Oldenburg. Wäre es nicht sinnvoll, das Studium an ein oder zwei Orten zu konzentrieren?
Nein. Alle Studienstätten sind voll ausgelastet – und mehr. Allein hier in Bremen haben wir im Lehrgebiet Behindertenpädagogik eine Überlast von 64 Prozent. Abgesehen davon kooperieren wir sehr eng mit Oldenburg. Die Fächer zusammenzulegen, würde Mammutsysteme schaffen, die keinswegs ökonomischer und effizienter arbeiten würden. Ferner sind auch die Schwerpunktsetzungen an den einzelnen Universitäten durchaus unterschiedlich, wie das in einem so komplexen Fach wie der Behindertenpädagogik auch erforderlich ist.
Finden denn alle Ihre AbsolventInnen auch tatsächlich eine Anstellung?
Ja, unsere AbsolventInnen sind sehr stark nachgefragt. Ich bekomme mindestens einmal pro Woche einen Anruf von irgendwo aus der Republik: Hast du nicht eine AbgängerIn, wir brauchen jemanden dort in einem Heim, da an einer Schule, hier in einer Werkstatt.
Woher das große Interesse gerade an Ihrem Studiengang?
Wir haben die Idee von der Integration behinderter Menschen entscheidend entwickelt. Wir produzieren in Bremen eben nicht nur Know-how für eine bestimmte Schulform, sondern Wissen, um Menschen mit Störungen umfassend zu fördern und in unser Alltagsleben zu integrieren. Das ist eine immense Veränderung. Die bremische Forschung hat da etwas aufgerissen, woran noch Jahrzehnte gearbeitet wird, das zu etablieren.
Bremen war mit seinen integrierten Kindergärten einmal Vorreiter bei der Integration Behinderter. Wie schätzen Sie die Situaton heute ein?
Integration soll sein, darf aber nichts kosten. Das sieht man auch an den Überlegungen, aus Finanzgründen in den Kindergärten weniger Fachpersonal einzusetzen. Bremen ist in der Außenwahrnehmung europaweit federführend, ein Highlight der Integration. Das ist aber heute nicht mehr gerechtfertigt. Andere Länder, die fünf bis sieben Jahre später mit Integrationskonzepten begonnen haben, haben uns da längst überholt. Verkürzt sage ich heute: Integration geht weiter – trotz Bremen.
Wie geht es weiter für die Behindertenpädagogik in Bremen?
Inzwischen gibt es Signale von der Universitätsleitung, dass sie sich unserer Forderung nach vier ProfessorInnenstellen anschließt. Nun hoffen wir, dass wir den Senator von unserer Vier-Stellen-Konzeption überzeugen können – dann wäre erst einmal das Weiterbestehen des Lehrgebiets gesichert. Das könnte man auch im Ausland niemandem erklären, wenn die Geistigbehindertenpädagogik gestrichen würde. Hier würde sozusagen der Kopf einer Entwicklung abgeschlagen.
Interview: Dorothea Siegle