: Der Unpeersönliche
Nordrhein-Westfalens Sozialdemokraten haben sich von ihrem Bundesfinanzminister Steinbrück entfremdet
Wer zu früh geht, den bestraft die SPD. Das muss jetzt Peer Steinbrück erfahren. „Das geht nicht, dass er bei so einer wichtigen Sitzung vorzeitig geht“, klagt ein SPD-Bundestagsabgeordneter und Parteilinker aus NRW. Bei der jüngsten Tagung des SPD-Parteirats verließ der Bundesfinanzminister vorab den Saal. Obwohl es um sein Thema ging – die umstrittene Unternehmenssteuerreform – eilte Steinbrück zu anderen Terminen. „Und dass, nachdem er zu Beginn ausufernd wie immer seine Sicht der Dinge geschildert hat“, so der Parlamentarier über das Verhalten des Ex-Ministerpräsidenten in der vergangenen Woche.
Die Episode vom „unpeersönlichen“ Steinbrück hat den parteiinternen Konflikt um die Firmensteuerreform eskalieren lassen. Am Wochenende attackierte NRW-SPD-Chefin Hannelore Kraft in der BamS Steinbrücks Gesetz. „Scharf“ sei Krafts Kritik, tickerten hinterher die Nachrichtenagenturen. „Steinbrücks Vorschlag für die Reform der Unternehmenssteuer beschert dem Staat auf Dauer zu hohe Einnahmeverluste“, wurde die Rüttgers-Herausforderin zitiert. Dies widerspreche dem „Empfinden von sozialer Gerechtigkeit“. Flügelübergreifend fordern Sozialdemokraten Korrekturen am Reformentwurf.
Dass sich zwei Genossen aus dem NRW-Landesverband öffentlich zanken, ist spätestens seit der kurzen Ära von SPD-Bundessuperminister Wolfgang Clement nichts Neues. Doch das Tempo, mit dem sich der Landesverband von seinem Ex-Landesvater entfremdet hat, war hoch. Steinbrück wird immer weniger als ein NRW-Politiker wahrgenommen – zwischen EU-Finanzministertreffen in Brüssel und Weltbanksitzungen in Singapur bleibt kaum Zeit für Termine an Rhein und Ruhr. „Er ist nicht immer da bei Sitzungen, das stimmt“, sagt ein Mitglied des Düsseldorfer Parteipräsidiums. Aber das gelte für die anderen NRW-SPD-Bundesminister Franz Müntefering und Ulla Schmidt ebenso. „Wenn er da ist, streiten wir sehr sachlich“, fügt der Präside hinzu. Beim Landesparteitag im Januar in Bochum fehlte Steinbrück ebenfalls – offiziell wegen einer Grippe, inoffiziell gab es damals Streit um die Zukunft der Kohlesubventionen.
Die letzte große Rede vor NRW-Sozialdemokraten hielt Steinbrück im April 2006 beim vorletzten Parteitag ebenfalls in Bochum. Damals gab der gebürtige Norddeutsche den Helmut-Schmidt-Imitator. Die NRW-SPD ermahnte er zu Disziplin und Pragmatismus. Die Genossen sollten nicht „wie alte Männer“ nach dem Krieg in Erinnerungen an geschlagene Schlachten schwelgen. „Kommt aus der Phase heraus, wo ihr Asche über die Häupter verteilt“, näselte der Realpolitiker die Partei an.
Fast erinnert der 60-jährige Steinbrück heute an Clement. Der kämpfte für Hartz IV, Steinbrück für die Unternehmenssteuerreform – die SPD-Basis mag beide Reformen nicht. Mit Clement kann sich Steinbrück austauschen. Beide wohnen in Bonn nur ein paar Straßen voneinander entfernt. Ab und zu fährt Steinbrück abends nach Feierabend mit dem Fahrrad bei Clements vorbei. Dann trinken die beiden Ex-Ministerpräsidenten ein Glas Rotwein zusammen – vielleicht lästern sie auch ein wenig über ihren roten Landesverband. MARTIN TEIGELER