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Archiv-Artikel

Der Umwandler

Der 29-jährige Nachwuchs-Schauspieler Christoph Franken bringt mit 125 Kilo viel Körper mit auf die Bühne und versteht es, seine Physis exzellent einzusetzen: Seine Auftritte am Schauspiel Hannover sind gekennzeichnet durch hohe Intensität und hohe Präsenz, egal, welche Rolle er auch spielt

Das subtile Steuern von körperlicher und psychischer Energie gilt am Theater als Ausweis für einen intelligenten und autonomen Schauspieler

von Simone Kaempf

Mit einem Kinderwagen fiel er zum ersten Mal auf. Er schob ihn in „Drei Schwestern“ vor sich hin: stumm, mit grimmiger Entschlossenheit, äußerlich selbst ein vorzeitig gealtertes dickes Kind, aber innerlich schien etwas hitzig zu brodeln, kurz davor auszubrechen. Dann, vor einem halben Jahr spielte er in „Frühlings Erwachen“, in dem es eigentlich um Pubertätsnöte und -verwirrungen geht, den Jugendlichen Melchior. Und zwar mit einer psychischen Definitionsmacht und treibenden Kraft, dass sich die lästerzüngigen Jugendlichen in dem Stück nicht darum scherten, dass ihr Anführer auf den ersten Blick der Außenseiter ist: der Rothaarige, der Dicke.

Auf der Bühne sprengt der 29-jährige Christoph Franken mit seinen 125 Kilo nicht nur das gängige Maß der Stadttheater-Protagonisten, er geht damit auch bewusst um und weiß Wirkung zu entfalten. Seine Masse geht immer mit einem intensiven Spiel Hand in Hand. Die Präsenz, die der gebürtige Kölner entfaltet, zeugt von einem produktiv unkomplizierten Verhältnis zu sich selbst. „Ich habe meine 125 Kilo, aber ich kann sie in Energie umwandeln. Und wenn das die Zuschauer mitbekommen, sind viele baff, weil sie das nicht erwarten“, sagt Franken.

Dieses subtile Steuern von körperlicher und psychischer Energie gilt am Theater als Ausweis für einen autonomen, intelligenten Schauspieler, und das ist es, was man auch bei Franken so besonders genießt. Kein Wunder, dass Christoph Franken am Schauspiel Hannover zur Zeit sehr präsent ist. In allen wichtigen Inszenierungen der letzten Monate war er dabei. Zuletzt spielte er in „Pornographie“, dem Stück über die Terroranschläge von London. Mit Daniel Wahl zusammen gibt er ein Geschwisterpaar, das nach einem Besäufnis im Bett landet.

Regisseur Sebastian Nübling hat ihm die Rolle auf den Leib geschneidert. Franken ist darin ein Ereignis: gierig und zärtlich zugleich. Einmal mehr ein Beweis dafür, dass er mit seinen Rollen in keine Raster passt. Man ist versucht zu sagen: eine der tollsten Liebes-Szenen, die man je gesehen hat. Dass er dabei auch die Hosen runter lässt und auch in anderen Inszenierungen nackt dasteht, bedeutet nicht, dass man ihn sich als Exzessprofi vorstellen darf. Im Gegenteil: Im Gespräch ist er nett, offen, unverstellt, ohne Allüren, man mag ihn sofort.

Schauspieler wollte er schon immer werden. Mehr aus Spaß begann er zusammen mit einem Freund Sketche nachzuspielen, wechselte dann in die Schultheatergruppe. Als er auf der Landesbühne Esslingen im Alter von 15 Jahren in einer kleinen Rolle zum ersten Mal richtig auf der Bühne stand, wurde es ihm so ernst, dass er zugunsten eines schnellen Berufseinstiegs fast die Schule geschmissen hätte. Die Wahl fiel dann doch auf den Weg von der Pike auf: Abitur, Schauspielstudium an der Otto-Falckenberg-Schule München, dann das Engagement in Hannover, wo Franken seit der Spielzeit 05/06 festes Ensemblemitglied ist. Hat er es mit seinem Körper schwerer gehabt als andere Schauspieler? „Nein, eigentlich nicht“, sagt er, „ich habe immer gemerkt, dass es eine Neugier auf mich gibt. Ich bin ein spezieller Typ und werde bewusst mit dieser speziellen Energie eingesetzt.“

Seit zwei Jahren ist Christoph Franken unentwegt gefragt, nicht nur am Theater. Er spielte in mehreren TV-Produktionen mit und im letzten Jahr auch neben Alexander Scheer die Hauptrolle in dem Film „Brennendes Herz“. Als Neonazi setzt er dort seinen abtrünnigen Kumpel unter Druck. So verändern sich von Film zu Film und Stück zu Stück zwar die Rollen, aber nicht unbedingt die Art, wie er sie anpackt: Immer noch ein wenig mehr zu sein als nur das Ergebnis einer Regie. Ein wichtiger Lehrmeister: Jürgen Gosch, der Regisseur, der ein so gutes Händchen dafür hat, das Spielerische aus Schauspielern herauszukitzeln.

Gleich seine erste Arbeit in Hannover, „Drei Schwestern“, leitete Gosch. „Das war ein Aha-Erlebnis“, sagt Franken, „weil er einen sehr weit schickt in der Arbeit. Und weil er einen dazu bringt, die eigene Ideen- und Gedankenwelt in die Inszenierung einzubringen.“ In der zweiten gemeinsamen Arbeit „Wie es euch gefällt“ ging es noch einmal einen Schritt weiter: In dem Abend, der sich um die dunkle Seite der Natur dreht, spielt Franken in einer Szene ein Mutterschaf, das einen Schauspieler wie ein junges Lamm zur Welt bringt und wenig später nach der Geburt zitternd stirbt. Es ist eine Szene, wie man sie sonst kaum zu sehen bekommt, ein Akt totaler Selbstentblößung.

Irgendwann liegt er nackt, leblos, völlig durchgeschwitzt da. Aber selbst im Untergehen ist er so stark, dass man den Blick nicht von ihm wenden kann. Mit den voyeuristischen Blicken der Zuschauer spielt er weniger, als dass er sie ein Stück weit ignoriert. Als sei die Bühne für ihn ein angstfreier Schutzraum, in dem mehr möglich ist als es im Leben erscheint.

Zu sehen ist Christoph Franken am Schauspiel Hannover heute und am 4.7. in „Pornographie“, am 27.6./10.7. in „Wie es euch gefällt“, am 3.7. in „Emilia Galotti“, am 13.7. in „Frühlings Erwachen“ und am 14.7. in „Geschwister“. Infos: www.schauspiel-hannover.de