: Der Umgang mit dem Tod
Am Wochenende fand in Berlin eine Tagung zum Thema Sterbehilfe statt / Nicht nur ein menschenwürdiger Tod, sondern vor allem ein menschenwürdiges Leben ■ Von Frauke Esrom
Berlin (taz) – Heftige Auseinandersetzungen um das Thema Sterbehilfe auf dem Gesundheitstag 1987 in Kassel waren der Anlaß, daß jetzt am Wochenende in Berlin eigens eine Tagung zu diesem Thema durchgeführt wurde. Referenten und knapp 300 Teilnehmer aus dem gesamten Bundesgebiet diskutierten in den Räumen der Technischen Universität über Euthanasie, Sterbehilfe, Bevölkerungspolitik und Humangenetik. Eine kontroverse Diskussion fand jedoch auf dieser Tagung kaum statt, denn in ihrer grundsätzlichen Ablehnung einer aktiven Sterbehilfe waren sich die Anwesenden weitgehend einig.
Unter den TeilnehmerInnen, die überwiegend aus Sozialberufen kamen, waren viele Behinderte, und gerade sie fühlten sich durch die öffentliche Diskussion über aktive Sterbehilfe bedroht. Immer wieder taucht das Thema in den Medien auf. Juristen und Ärztekongresse sowie eine eigens gegründete „Gesellschaft für humanes Sterben“ setzen sich für einen „selbstbestimmten Tod“ ein.
Der 53. Deutsche Juristentag forderte die Möglichkeit, bei Tötung auf Verlangen unter bestimmten Umständen von einer Bestrafung abzusehen. Die Gegner einer gesetzlichen Neuregelung zitierten dazu den Sozialpsychiater Klaus Dörner: „Offenbar gibt es ein wachsendes Bedürfnis, das Leiden eines Menschen für so groß zu erklären, daß man nicht mehr von einem ... lebenswerten Leben sprechen könne.“ Genau diese Einteilung in lebenswertes und lebensunwertes Leben zeigt erschreckende Parallelen zu den Euthanasieforderungen in der jüngeren deutschen Vergangenheit.
Der Berliner Medizinhistoriker Gerhard Baader wies auf der Tagung am Wochenende darauf hin, daß es in der Weimarer Republik gerade die modernen Reformpsychiater waren, die die Erlösung von unheilbaren Leiden propagierten und so den Weg für die Sterilisation und Ermordung Behinderter und psychisch Kranker im Dritten Reich ebneten. Baader hält eine Gesetzesänderung für unnötig und gefährlich, da sie unter geänderten gesellschaftlichen Bedingungen zur Tötung von Menschen auf Verlangen der Gesellschaft führen kann.
Viele Behinderte äußerten, daß ihnen „angst und bange“ werde bei der Diskussion um aktive Sterbehilfe: „Uns wird ein menschenwürdiger Tod angeboten, aber eine menschenwürdige Existenz wird verweigert. In unserer Gesellschaft, in der es auf Leistung und Funktionieren ankommt, wird mit großer Selbstverständlichkeit Krankheit und Behinderung mit Belastung, Zumutung und Sinnlosigkeit gleichgesetzt. Oft steckt hinter dem Wunsch zu sterben die Verzweiflung über Ausgrenzung und inhumane Lebensbedingungen“. Ein weiteres Zitat von Dörner, der befürchtet, daß „allmählich eine soziale Erwartungshaltung (...) entstehen kann, wonach alle behinderten, unheilbaren oder alten Menschen es für anständig halten müssen, sich (...) den Tod geben zu lassen.“
Die wenigen Befürworter einer Sterbehilfe hielten dem die Unmenschlichkeit der modernen Intensivmedizin entgegen, die das Sterben künstlich hinauszögert. Aber gerade dort habe sich nach einer anfänglich „unkritisch-expansiven“ Phase die Nutzung humanisiert, wandten Tagungsteilnehmer ein: Lebensverlängernde Maßnahmen würden nicht mehr um jeden Preis ergriffen. Eine Ärztin berichtete, daß es meist die Angehörigen seien, die bitten, die Apparate abzustellen – fast nie die Kranken selber.
Auf dem Abschlußplenum wurde von mehreren Teilnehmern eine sinnvolle Sterbebegleitung statt aktiver Sterbehilfe gefordert:“Wir müssen sehen, daß menschliches Leiden und Sterben nicht per Gesetz abgeschafft werden kann, sondern ein Teil des Lebens ist.“ Notwendig sei darüberhinaus eine bessere Ausbildung von Medizinern im Umgang mit Sterbenden und chronisch Kranken. Aber auch die Gesellschaft insgesamt müsse sich mehr mit Tod und Leiden auseinandersetzen. Zustimmung erhielt Baader mit seiner Forderung: „Wir brauchen keine neuen Gesetze, wir brauchen eine neue Medizinethik.“
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