Der Ukraine-Krieg auf dem taz lab 2022 : „No pasaran!“
Der russische Angriffskrieg dominiert viele Veranstaltungen. PEN-Präsident Deniz Yücel sagt: „No pasaran – die Faschisten dürfen nicht durchkommen“
Von SONJA SMOLENSKI und ANASTASIA TIKHOMIROVA
taz lab, 02.05.22 | Als Russland die Ukraine am 24. Februar überfällt, steht der Titel für das taz lab 2022 bereits seit Monaten fest. Die Veranstaltung wird daraufhin kurzerhand in „Klima, Klasse und Krieg“ umgetauft. Und dieses letzte Wort „Krieg“ dominierte am Samstag, 30. April 2022, tatsächlich viele der angebotenen Veranstaltungen und Diskussionen.
So bezeichnete der Außenpolitikexperte Kai Oppermann das derzeit im Bundestag diskutierte Öl- und Gasembargo in der Podiumsdiskussion „100 Milliarden für die Freiheit? Eine neue Sicherheitsordnung in Europa“ als verspätete und zu schwache Reaktion – „too little, too late“.
Im Gespräch mit Jakob Lempp, Ulrike Franke und Konstantin Peveling waren sich die Teilnehmer*innen rasch einig: 100 Milliarden für die Bundeswehr seien kein pazifistisches Freiheitsprojekt, sondern notwendige Aufrüstung im atomaren Zeitalter.
Ukraine den Russen überlassen
Franke vom European Council on Foreign Relations betonte: „Für niemanden ist das Militär das Medium der ersten Wahl, aber Pazifismus bedeutet: Wir überlassen die Ukraine den Russen.“
Dass manche deutsche Friedensbewegte derweil „Frieden ohne Waffen“ skandieren und 28 Intellektuelle in einem offenen Brief an Olaf Scholz in der Zeitschrift Emma die Lieferung schwerer Waffen ablehnen, während die Ukraine militärische Unterstützung für die eigene Verteidigung fordert, bezeichnete der Journalist Artur Weigandt als „Westplaining“. Der Begriff steht dafür, dass westeuropäische Perspektiven bevormundend auf Osteuropa angewendet werden, während zugleich ukrainische Stimmen ignoriert werden.
„Hört uns zu!“, forderten deswegen Weigandt, die ukrainischstämmige Aktivistin Masha Borysenko und die deutsch-belarussische Aktivistin Katja auf dem gleichnamigen Panel im Gespräch mit der russischstämmigen taz-Redakteurin Anastasia Tikhomirova. Sie kritisierten, dass vor allem unter Linken Betroffenenstimmen übergangen würden.
Faschisierung der russischen Gesellschaft
Auf dem Panel „Russland wird frei sein“ – ein Slogan der dortigen Opposition – sprach Tikhomirova mit der Menschenrechtlerin Swetlana Gannuschkina, dem Aktivisten der „Vesna Democrat“ Bewegung Timofey Martynenko und dem belarussischen Historiker Alexander Friedman über die Antikriegs- und Demokratiebewegung in Russland.
Neben Berichten über politische Repressionen und das Leben in der Diktatur wurden die Faschisierung der russischen Gesellschaft, aber auch alternative, unabhängige soziologische Studien zur tatsächlichen Kriegsunterstützung in Russland besprochen.
„No pasaran – die Faschisten dürfen nicht durchkommen“. Das sei die richtige Antwort. „Das ist auch die Tradition, in der dieses Haus, also die taz steht.“ Das sagte der Journalist und PEN-Präsident Deniz Yücel auf dem taz-lab-Abschlussgespräch, das ganz im Zeichen des Ukraine-Kriegs stand.
Bosnien darf sich nicht wiederholen
Gemeinsam mit taz-Redakteur Jan Feddersen, dem Grünen-Politiker Daniel Cohn-Bendit, der FDP-Verteidigungspolitikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann, der Journalistin Isabel Schayani und der Schriftstellerin Jagoda Marinić ging es dabei auch um den zwei Tage zuvor veröffentlichten offenen Brief von deutschen Intellektuellen in der Emma.
Cohn-Bendit warf die Frage auf: „Wer darf im Namen der Ukrainer reden und wer nicht?“ In einem Punkt waren sich die Gäste einig: Der Krieg in der Ukraine dürfe nicht wie in Bosnien zu einem Versagen der westeuropäischen Regierungen führen.
Marinić meinte: „Wir müssen handeln und das bedeutet in diesem Fall leider: Waffen.“ In früheren Konflikten habe sich Deutschland seine Unschuld leisten können, weil die Kriege die anderen geführt hätten. „Man hat halt gewartet, bis die Amerikaner reingehen“, sagte Marinić.
Eurozentrismus
„Was geht uns die Ukraine an?“, fragte taz-lab-Redakteur Emmanuel Noglo den malischen Journalisten Mare Mollo Hato und die burkinische Aktivistin Soumaïla Zié Traore im französischsprachigen Panel über westliche Lösungsstandards in Europa und Afrika.
Die Gewalt, die seit mehr als zehn Jahren in der Sahelzone tobt, erhalte bei Weitem nicht die gleiche mediale Aufmerksamkeit wie der Krieg in der Ukraine, kritisierten die Expert*innen und bescherten dem taz lab damit die notwendige Prise Eurozentrismuskritik.