■ Der US-Autor Samuel Huntington liefert mit der These vom „Krieg der Kulturen“ dem Westen probate Feindbilder: Rassismus light
Schon wieder Kampf der Kulturen? Haben wir den nicht gerade gewonnen – neulich im Kino bei Independance Day, als unsere Leute den Außerirdischen was aufs Maul gegeben haben? Anscheinend nicht. Denn Samuel Huntington, Harvard-Professor und Weltkrisenprophet, hat das Buch zum Film geschrieben. Ohne Happy-End und mit anderen Protagonisten. Nach dem (angeblichen) Ende der Ideologie, so sein Skript, teilt sich die Welt in Kulturblöcke auf. In den Hauptrollen: Ein westlicher Block (das sind wir), ein islamischer und ein chinesisch-konfuzianischer. In den Nebenrollen: Hindus, Lateinamerikaner und Afrikaner. Die Handlung: Die bad guys aus den islamischen und chinesisch-konfuzianischen Kulturblöcken könnten sich gegen den westlichen zusammenschließen, was im schlimmsten Fall den dritten Weltkrieg auslöst.
Solche Bücher verschwinden in der Regel wie besagte Kinofilme nach ein paar Wochen wieder aus der öffentliche Debatte. Nicht so Huntingtons „Kampf der Kulturen“, der – mit geschicktem Marketing über drei Jahre gestreckt – in zwei Aufsätzen in der Zeitschrift Foreign Affairs und nun als 600-Seiten-Buch erschienen ist.
Die Kostproben in Foreign Affairs sind kein Zufall. Hier skizzierte 1947 unter dem Pseudonym „X“ George Kennan, damals leitender Mitarbeiter des US-Außenministeriums, die zukünftigen Ost- West-Konfrontation und lieferte damit die theoretische Grundlage für die US-Politik des Containment – der Eindämmung des sowjetischen Einflusses in der Welt. In dieser Phase der neuen Weltunordnung möchte Huntington Kennan gerne als Stifter des neuen Feindbildes beerben und das theoretische Gerüst für ein neues Dogma bei der Einordung internationaler Konflikte liefern: Nicht mehr ideologische Blöcke stehen sich feindselig und potentiell kriegslüstern gegenüber, sondern Zivilisationen mit unterschiedlichen Kulturen, Religionen und Wertsystemen. Besonders vor dem Islam, so Huntington, muß sich der Westen hüten. Denn der Muslim sei auch in der nichtfundamentalistischen Version von der „Überlegenheit seiner Kultur und der Unterlegenheit seiner Macht besessen“. Außerdem setze er mehr Kinder in die Welt.
Die Aufforderung zu gesteigerter Fortpflanzung im christlichen Abendland verkneift sich der Harvard-Politologe. Doch eine „moralische Erneuerung“ des Westens – kombiniert mit einer kulturellen Homogenisierung und einem engen Schulterschluß zwischen den USA und Europa – braucht es schon, um gegen die anderen standzuhalten. Sein optimistisches Szenario sieht dann so aus: sich im eigenen Zivilisationsblock einbunkern, den anderen Blöcken ihre Einflußsphären zugestehen und endlich darauf verzichten, freedom and democracy in sämtliche Ecken dieser Welt zu exportieren.
Die Angst vor dem Untergang des Westens treibt Huntigton schon eine ganze Weile um. Anfang der achtziger Jahre warnte er in einem Aufsatz für die Trilaterale Kommission vor dem Weltsieg des Kommunismus, weil es dem Westen an Kampfmoral und Rückgrat mangele. Wir erinnern uns dunkel, daß dieses Kapitel der Weltgeschichte irgendwie anders ausging.
Man könnte es nun bei der tröstlichen Feststellung belassen, daß es dem Mann an prophetischem Talent mangelt. Doch dazu sind seine Thesen zu gefährlich. Wer internationale Konflikte um Rohstoffe, Handelssphären, Territorien oder auch zwischen ethnischen Gruppen in ein Schema des Kampfes der Zivilisationen preßt, verlagert diese Konflikte auf die Ebene ewiger, unlösbarer Konfrontation. In einem Kampf der Kulturen haben Kompromisse keine Chance mehr. Auch nicht für den einzelnen. Denn aus der Zugehörigkeit zu einer Ethnie, einer Religion oder einem Kulturkreis gibt es kein Entrinnen. Ohne es vielleicht selbst zu begreifen, sagt der Autor und Außenpolitikexperte William Pfaff, habe Huntington mit seinem „Kampf der Kulturen“ eine „Rationalisierung für so etwas wie einen Rassenkrieg geliefert“.
Doch die läßt sich derzeit gut verkaufen. Besonders, wenn es um Kriege wie in Bosnien geht, wo sich nach Huntingtons Darstellung die Zivilisationsblöcke der westlichen Christen, der Orthodoxen und der Muslime musterartig vor ihren Schützlingen – katholischen Kroaten, bosnischen Muslimen und orthodoxen Serben aufgebaut hätten. Das ist nun – gelinde gesagt – Geschichtsklitterung. Daß die USA – im Schulterschluß mit den islamischen Ländern – der wichtigste Unterstützer der bosnischen Muslime waren und sind, muß dem Harvard-Professor entgangen sein. Ebenso der Umstand, daß Bosnien nie so muslimisch geworden wäre, wie es heute ist, wenn sich der Westen frühzeitig dazu entschlossen hätte, solch zivilisatorische Errungenschaften wie das Völkerrecht im ehemaligen Jugoslawien zu verteidigen.
Huntington sieht Religion als eine prägende Kraft bei der Schaffung seiner Kulturblöcke – und er fürchtet sie völlig zu Recht als Politikersatz und als Droge gegen Modernisierungsängste. Doch er fabriziert aus diesen Gedanken lieber ein neues „Reich des Bösen“, anstatt Phänomenen wie religiösem Fundamentalismus auf den Grund zu gehen. Hätte er letzteres versucht, wäre er unweigerlich im eigenen Garten gelandet. Soll heißen: Im amerikanischen Teil der westlich-christlichen Zivilisation. Religiöser Fundamentalismus hat hier ebenso Einzug in die Politik gehalten wie in vielen islamischen Ländern.
In beiden Fällen ist der Feind zuallererst nicht die „andere“ Kultur, sondern der säkulare Staat. Dieser Antagonismus fällt nicht vom Himmel, sondern resultiert aus einer Krise des Staates. Islamische Fundamentalisten in Algerien oder in der Westbank sind nicht populär geworden, weil sie im Koran Anweisungen für den Kampf der Kulturen suchen, sondern weil sie soziale Versorgungsnetze errichteten, die der Staat nicht bieten wollte oder konnte. Christliche Fundamentalisten in den USA haben politischen Einfluß nicht mit ihren Tiraden gegen Ungläubige gewonnen, sondern mit einer dezentralen Mobilisierung gegen Steuern, öffentliche Schulen und einen Staat, der in den Augen vieler Bürger keinen Schutz vor der rasanten Globalisierung der Wirtschaft mehr bietet. Daß in solchen Krisen religiöse, ethnische oder nationalistische Propaganda auf fruchtbaren Boden fällt, ist wirklich nicht neu. Daraus die Unausweichlickeit eines Kampfes zwischen Kulturen zu konstruieren, ist hanebüchen. Schade nur um den Titel. Der hätte gut zu einem Buch über Joghurt gepaßt. Andrea Böhm
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