: Der Trend zum Besseren
Mecklenburg-Vorpommern kommt: Kein anderes Bundesland verzeichnet derzeit ein stärkeres Wirtschaftswachstum. Beobachter sehen darin eine positive Entwicklung, die bisher durch die schlechte Lage im Baugewerbe verdeckt wurde
Mit einem Pro-Kopf-Einkommen von 19.112 Euro war Mecklenburg-Vorpommern 2006 das Schlusslicht unter allen Bundesländern. Das höchste Pro-Kopf-Einkommen eines Flächenlandes hatte Bayern mit 32.815 Euro. In Meck-Pomm war 2005 jeder Fünfte arbeitslos, bundesweit jeder Zehnte. Auch das Wachstum ließ zu wünschen übrig. Nach niedrigen zweistelligen Raten 1993 und 1994 sackte es gegen Ende der 90er Jahre gegen null. 2006 waren es zwei Prozent. Die südlichen neuen Länder hatten konjunkturbedingt zwar ebenfalls keine großen Wachstumsraten, entwickelten sich aber besser. TAZ
VON GERNOT KNÖDLER
Mecklenburg-Vorpommern liegt vorn. Zumindest im ersten Halbjahr dieses Jahres ist die Wirtschaft an der Küste stärker gewachsen als in allen anderen Bundesländern. In einem vollen Kalenderjahr ist es dem wirtschaftlich schwachen Land allerdings noch kein einziges Mal gelungen, sich beim Wachstum an die Spitze zu setzen.
Vertreter der Wirtschaft und der Landesregierung vermuten, dass jetzt zum ersten Mal eine positive Entwicklung sichtbar wird, die schon vor einiger Zeit begonnen hat. Vor allem das produzierende Gewerbe ist stärker geworden. Mecklenburg-Vorpommern beginnt, von der Globalisierung zu profitieren. Augenfälliges Beispiel dafür ist der internationale Frachtflughafen, den ein chinesischer Investor am Montag in Parchim eröffnet hat.
Vier Prozent Wachstum ermittelte der Arbeitskreis Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen der Länder inflationsbereinigt für das erste Halbjahr 2007 im Vergleich zum ersten Halbjahr 2006. Bundesweit wuchs das Bruttoinlandsprodukt um 2,9 Prozent, in den neuen Bundesländern um 3,2 Prozent. „Das darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass wir im Verhältnis zu anderen Ländern von einem ganz anderen Niveau sprechen“, warnt Andreas Kraus von der Industrie- und Handelskammer (IHK) Schwerin.
Dass Mecklenburg-Vorpommern plötzlich einen Spitzenwert vorweisen kann, erklärt Gerd Lange vom Schweriner Wirtschaftsministerium damit, dass „die Baubranche das Tal der Tränen allmählich durchschritten hat“. Die Bauindustrie, kurz nach der Wende stark aufgebläht, litt besonders stark unter der Wirtschaftskrise. Das habe dem Land auch dann noch die Wirtschaftszahlen verhagelt, als die Lage allmählich besser wurde.
Denn besonders das verarbeitende Gewerbe – große und kleine Fabriken – hat zugelegt: im ersten Halbjahr 2007 gegenüber dem ersten Halbjahr 2006 um 14,8 Prozent. Schon in den vorangehenden Kalenderjahren war das verarbeitende Gewerbe kräftig gewachsen. Jetzt, da sich die Bauindustrie gesundgeschrumpft hat, kann das zum Tragen kommen – obwohl das verarbeitende Gewerbe 2006 nur elf Prozent zur Wertschöpfung des Landes beitrug. Im benachbarten Schleswig-Holstein waren es 16 Prozent. Um hier das Niveau Schleswig-Holsteins zu erreichen, fehlten 12.500 Unternehmen sagt Kraus.
Trotzdem spricht der IHK-Mann von einem anhaltenden Trend zum Besseren. Die Ernährungsindustrie und die Autozulieferer prosperierten. Das Land profitiere von seiner Lage: einerseits als Touristenziel, als das es die Nummer eins in Deutschland werden wolle – andererseits als Umschlagsort für den Handel Asiens mit Skandinavien und dem Baltikum.
Auf dem Flughafen Parchim können rund um die Uhr Flugzeuge von der Größe des Riesen-Airbus A 380 landen. Seiner Lizenz gemäß könnten 180.000 Maschinen im Jahr abgefertigt werden. 70 Millionen Euro will die Firma Link-Global-Logistics dort investieren. Dazu kommen die Häfen und die hafennahen Branchen: Die Firma Liebherr zu Beispiel ist nach Rostock gezogen, weil sie einen Kai braucht, um ihre riesigen Kräne verladen zu können.
Die maritime Wirtschaft ist für Frank Roller vom Wirtschaftsrat der CDU einer von drei Bereichen, in denen Mecklenburg-Vorpommern besonders wettbewerbsfähig sei: dazu kämen die Landwirtschaft – „die beste in Europa“ und die „schmale wettbewerbsfähige Industrie“. Der Tourismus sei wichtig, weil er ein positives Bild des Landes verbreite und viele einfache Jobs anbiete. Zur Wertschöpfung trage er aber wenig bei.
Die produzierenden Firmen profitierten davon, dass sie sich unter schwierigen Bedingungen hätten behaupten müssen. Eine entwickelte Infrastruktur, zu der insbesondere die Osteseeautobahn A 20 gehöre, ermögliche es ihnen, von der internationalen Arbeitsteilung zu profitieren. Den Aufschwung hält Roller daher nicht für eine Eintagsfliege. „Man merkt die Veränderung bei den Unternehmen“, sagt er. „Sie schwenken von einer kurzfristigen Denkweise auf nachhaltige Wachstumsüberlegungen um.“