Der Tod eines Genres

■ Der Berliner SFB schafft die letzten menschengemachten Pop-Radio-Sendungen ab

„Der SFB verabschiedet sich von seinen Hörern“. Seit Zulassung der ersten Privatradios geht im Hörfunk des SFB die Panik um. Vor sieben Jahren tauchte der dicke Schamoni (der inzwischen ins Regional-Fernsehgeschäft abgewandert ist) mit seinem Sender für die „schweigende Mehrheit“ 100,6 auf, dann kamen RTL und Energy, seit '89 funken dazu noch diverse Feindsender aus dem Osten ins ehemals „freie“ Berlin. Darunter der kleine, aber um so frechere ORB aus Potsdam, mit dem der SFB zwar offiziell kooperiert, ansonsten aber im permanenten Kleinkriegszustand lebt. Das beginnt mit dem Nicht-ausleihen- Wollen eines Ü-Wagens und endet damit, daß man sich gegenseitig vorwirft, man würde im Sendegebiet des anderen nach Hörern für eine geplante Infowelle wildern. (Diese will der SFB abstruserweise statt mit dem Nachbarn ORB mit dem fernen dafür aber politisch auch auf Schwarz-Kurs liegendem MDR produzieren.)

Sicher, die Konkurrenz ist härter geworden, doch die einstmals (neben dem inzwischen zu „r.s.2“ privatisierten Rias 2) populärste Berliner Welle SFB 2 ist bislang durch jede Reform mehr verflacht. „Radio B2“, wie das Programm seit letztem Jahr heißt, ist bei den Hörerzahlen völlig eingebrochen. Im Osten der Stadt war bei der jüngsten Erhebung keine Quote festzustellen, im Westen lag sie unter 4 Prozent. Der neue Wellenchef, Axel Svehla, vorher beim Privatsender „ffn“ in Hannover, versuchte die Welle durch den Ankauf von satirischen Clips („Der kleine Tierfreund“ und andere) aufzupeppen. Das Musikprogramm war vorher schon computergestützt zur Unkenntlichkeit „durchformatiert“ worden: Windelweicher ARD-Softpop konkurriert mit dem von den Privaten abgeschauten Seicht-Gedudel.

Nachdem man vor kurzem mit „Film Ab“ das letzte ambitionierte Filmmagazin abgeschafft und seine Asche aufs „Tagesbegleitprogramm“ verteilt hatte, soll nun auch die Nachtclub-Schiene dran glauben. Im Moment kann man in der Zeit zwischen 22 und 24 Uhr noch richtige Musik hören, präsentiert und ausgesucht von Menschen, nicht von CD-Robotern. Ab 1. Mai ist auch damit Schluß. Nachtclub-Redakteurin Christine Heise: „Der SFB verabschiedet sich mit der Entscheidung aus der journalistischen Begleitung und Aufarbeitung eines ganzen Kulturzweigs. Die Popkultur wird nicht mehr reflektiert.“

Die Abschaffung, die laut Hörfunkdirektor Wendland und Wellenchef Svehla beschlossene Sache ist, bedeutet das Todesurteil für eine Form von Journalismus, der sich in den letzten 25 Jahren mühsam sein Terrain erkämpft hatte. Viele HörerInnen wurden von Pionier-Sendungen wie „Musik für junge Leute“ (NDR) oder den „Popkarton“ (Radio Bremen) an eine kritische Rock&Pop-Rezeption oftmals in Verbindung mit Politik und Jugendkultur herangeführt. Diese Tradition wird beim SFB nun ausgelöscht. Wendland konnte auch auf wiederholte Nachfrage keine Sendung auf den drei SFB-Wellen nennen, die diese Funktion noch erfüllt. Redakteurin Heise: „Der SFB trägt dazu bei, daß populäre Musik entmenschlicht wird. Der Hörer erhält keine Informationen mehr, erfährt weder etwas über Entstehung noch Absichten und wird entmündigt.“

Das Argument der Abschalter ist dabei nicht einmal der sonst so beliebte „Sparzwang“, sondern die Floskel von der „Durchhörbarkeit“ des Programms. Das spezifische Musik-Profil einzelner Sendungen, das die Vorlieben der Redakteure und Macher repräsentierte, soll zugunsten einer programmübergreifenden Uniformität aufgegeben werden. Und das obwohl der Trend längst zu Spezialprogrammen geht, die sich aus der Masse des allgemeinen Dudelfunks abheben.

Nicht beim SFB. Der ideelle „Durchhörer“ könnte sich an Sendungen stören, die Chris Cacavas und Giant Sand featuren, Weltmusik dokumentieren oder Acid Jazz und anderen Funky Stuff spielen. Auch ein Dead Head wie Helmut Heimann, der heute auf House steht, morgen auf verkifften Reggae und überhaupt auf alles, wo der Name Jerry Garcia draufsteht, könnte jemand nerven. Künftig wird dann Sonntagabends kein genial verschrobener Plattenmaniac, wie Wolfgang Döbeling mehr auf Sendung gehen. Statt dessen wird ein Programm mit dem Namen „Easy Beats 2“ (schauder) ganz im Sinne der gefönten SFB-Welle unverfänglichen Mainstream in den Äther kippen. Andreas Becker