Der „Superminister“ ist tot

Karl Schiller führte die staatliche Globalsteuerung der Wirtschaft ein: Der Staat lenkt die zu Krisen neigende Marktwirtschaft / Der Erfolg Schillerscher Wirtschaftspolitik blieb begrenzt  ■ Von Rudolf Hickel

Bremen (taz) – Karl Schiller gilt als der bislang erfolgreichste Wirtschaftsminister der BRD. Schon Mitte der 50er Jahren erkannte der spätere „Superminister“ die in den Wirtschaftswunderjahren schlummernden ökonomischen Risiken. Unter dem Einfluß von Keynes entwickelte er sein Credo einer Versöhnung zwischen staatlicher Steuerung und dem freien Spiel der Marktkräfte. Während Ludwig Erhard noch die Einführung der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung als Sünde wider den Geist der Marktwirtschaft geißelte, entwickelte der eloquente Karl Schiller sein Konzept der Globalsteuerung. Auf dem Bundesparteitag der SPD in Berlin forderte er 1955 die Einrichtung eines wissenschaftlichen Rats zur „Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung“. Der Rat der fünf Wirtschaftsweisen wurde 1963 tatsächlich gesetzlich eingeführt.

Nach seiner Professorentätigkeit an der Hamburger Uni, deren Rektor er von 1956 bis 1958 war, und seiner Tätigkeit als Wirtschaftssenator in Hamburg und Berlin hämmerte er als Berlin-Abgeordneter seit 1965 seine Lehre der aufgeschreckten politischen Szene in Bonn ein. Als Wirtschaftsminister der Großen Koalition seit Ende 1966 konnte er schließlich seine Ideen in das weltweit gerühmte Stabilitäts- und Wachstumsgesetz gießen. Es definiert den Instrumentenkasten, den der Staat nur einzusetzen braucht, um die Gesamtwirtschaft zu stabilisieren und die Beschäftigung zu sichern.

Lange vor der „Runde-Tisch“- Manie zur Bewältigung der deutschen Einigung forderte Karl Schiller den „runden Tisch der kollektiven Vernunft“: In der konzertierten Aktion sollte das Verhalten der wirtschaftlich relevanten Gruppen abgestimmt werden. Allerdings brach mit dem Versuch, die Gewerkschaften auf „Lohnleit(d)linien“ festzulegen, die Konsensbildung rasch zusammen.

Der Erfolg Schillerscher Wirtschaftspolitik blieb historisch begrenzt. Zwar konnte er noch die Überwindung der Minirezession von 1966/67 durch ein sich heute schmal ausnehmendes Konjunkturprogramm und den folgenden stärksten Nachkriegsaufschwung genießen. Zug um Zug sollte jedoch sein Stabilitäts- und Wachstumsgesetz an Bedeutung verlieren. Daß sich Wirtschaftswachstum, hoher Beschäftigungsstand, Geldwertstabilität und außenwirtschaftliches Gleichgewicht gleichzeitig sichern ließen, erwies sich als naiv. Seit Mitte der siebziger Jahre wird die wirtschaftliche Entwicklung durch Arbeitslosigkeit gekennzeichnet. Schillers Rezept allein ist dagegen untauglich. Vor allem aber hat die ökologische Krise die Illusion einer immerwährenden Wachstumswirtschaft zerstört.

Nach dem Ende der Großen Koalition, innerhalb derer das gut zusammenarbeitende Duo Schiller und Strauß oftmals mit „Plisch und Plum“ verglichen wurde, hatte der Superminister noch einen großen Erfolg zu verzeichnen. Gegen erbitterten Widerstand der Exportindustrie gibt er 1971 den wechselkurs der D-Mark frei. 1972 gerät er mit seinem Vorschlag, 2,5 Milliarden Mark im Bundeshaushalt einzusparen, in Konflikt mit seinen Kabinettskollegen – er tritt zurück. Der Ausstieg aus der SPD folgt. In einer Plakatkampagne macht er zusammen mit Ludwig Erhard für die CDU Reklame, tritt aber 1980 wieder der SPD bei.

Dennoch, mit Karl Schiller hat Wissenschaft und Politik eine herausragende Persönlichkeit verloren. Zu einem aufrechten Nachruf gehört aber auch der Hinweis: Die Erfolge seiner Politik blieben auf die historische Umbruchphase der westdeutschen Wirtschaft in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre beschränkt. Die heutige Massenarbeitslosigkeit, ökologische Krise und soziale Polarisierung lassen sich mit der ordnungspolitischen Versöhnung von Staat und Wirtschaft nach Schillerschem Muster nicht lösen.

Der Autor ist Professor für Wirtschaftswissenschaft an der Uni Bremen.