„Der Sturz“ in der ARD: Im Gespräch mit dem Feindsender
Packend erzählt, mit sicherem Gespür für Nuancen und ohne pädagogischen Zeigefinger: Die ARD bringt großes Fernsehen über den Untergang der DDR: „Der Sturz“.
Das Auto war weg. Da hat sie geahnt, dass es diesmal anders wird, sagt Margot Honecker, und ihre Augen funkeln immer noch kampfeslustig. Damals, an jenem vertrackten 40. DDR-Geburtstag. Da verließ sie gerade mit ihrem Erich, die Jubelfeier im Palast der Republik.
Während draußen Stasi und Volkspolizei DemonstrantInnen niederknüppelten und die Armee schon in Alarmbereitschaft lag. Die Limousine des Staatsratsvorsitzenden, die sonst immer an der Spitze der Wagenkolonnen wartete, fehlte. Und dann ging alles ganz schnell mit der „Konterrevolution“, wie Margot Honecker die Wende mit voller Überzeugung nennt.
Die ehemalige DDR-Volksbildungsministerin und Gattin des Staatschefs nimmt kein Blatt vor den Mund in ihrem ersten langen TV-Interview seit über zwanzig Jahren. Dass es Eric Friedler in beharrlicher, jahrelanger Hartnäckigkeit gelungen ist, die mächtigste Frau der DDR in ihrem chilenischen Exil zum Reden mit einem Feindsender zu bewegen, ist schon eine große Leistung.
Wie Friedler aber die an drei Tagen entstandenen Aufnahmen der heute 84-Jährigen mit den Originalaufnahmen von 1989/1990 und den Erinnerungen und Reaktion von Opfern und Zeitzeugen verknüpft, ist ganz großes Fernsehen.
Packend erzählt, mit sicherem Gespür für Nuancen und ohne pädagogischen Zeigefinger ergibt sich das bizarre Bild einer komplett verunsicherten, überlasteten neuen DDR-Führung. Und das einer alten, überraschend rüstigen Dame, die noch immer in ihrer stalinistischen Welt lebt, in der die Partei immer recht, der Mensch und das Menschliche zurückzustecken hat.
Wo alle, die anders denken – auch die GenossInnen der eigenen Partei – Verräter sind. Und die in der nächsten Einstellung mit ungespielter Selbstverständlichkeit Coca-Cola trinkt.
„Der Sturz“, ARD, 21 Uhr.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Verkauf von E-Autos
Die Antriebswende braucht mehr Schwung
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Warnstreiks bei VW
Der Vorstand ist schuld
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht
Die HTS in Syrien
Vom Islamismus zur führenden Rebellengruppe