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Archiv-Artikel

Der Stolper-Mann

Für seine Stolpersteine ist der Künstler Gunter Demnig zum zweiten Kölner Ehrenbürger ernannt worden

Es gibt noch immer Zeitgenossen, die die Erinnerung an die NS-Zeit verdrängen. Geht es dagegen um die „Stolpersteine“, die an die Opfer nationalsozialistischer Gewalt erinnern, entbrennt manchmal ein „richtiger Wettbewerb zwischen Nachbarstädten, wer die meisten hat“, sagt der Kölner Künstler Gunter Demnig. Seit 1992 verlegt er die kleinen Betonsteine vor Häusern, in denen einst Sinti und Roma, Homosexuelle, Zeugen Jehovas, Kriegsdienstverweigerer, vor allem aber Juden wohnten, die von den Nazis ermordet wurden. Inzwischen sind es weit über 8.000 Steine in 173 deutschen und österreichischen Städten. Für diese Form der Erinnerungsarbeit erhielt Demnig gestern den alternativen Kölner Ehrenpreis.

Der Preis wurde 2002 aus Protest gegen die Verleihung der offiziellen Ehrenbürgerschaft an den Kölner Zeitungsmonopolisten Alfred Neven DuMont begründet. Erster alternativer Ehrenbürger war der katholische Pfarrer Franz Meurer, der im Stadtteil Kalk ein umfangreiches soziales Hilfsprogramm aufgebaut hat. Demnig, 1947 in Berlin geboren, ist der zweite Preisträger. Bei der Rathausdiskussion, ob der Rathausplatz für die gestrige Verleihung freigegeben werden solle, stimmte CDU-Oberbürgermeister Fritz Schramma „in Verneigung vor der Arbeit Gunter Demnigs“ mit der rot-rot-grün-gelben Ratsmehrheit dafür, die CDU dagegen.

Besonders starken Widerstand gegen Demnigs Arbeit gibt es in München: Die bayerische Landeshauptstadt lehnt diese Form des Erinnerns bislang vollständig ab, weil die Opfer dadurch mit Füßen getreten würden. Auch in Krefeld wehrte sich die jüdische Gemeinde mit diesem Argument gegen das Projekt. Andernorts mussten Nachbarn, Hausbesitzer und konservative Lokalpolitiker erst in langen Diskussionen von den Stolpersteinen überzeugt werden.

Für Demnig, der sich auch vor den Stolpersteinen immer wieder mit gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und „Grenzerfahrungen“ – wozu er auch die Fähigkeit des Sicherinnerns zählt – beschäftigte, ist diese Aktion eine erfolgreiche Vervielfältigung einer ursprünglichen Konzept-Kunst-Idee. Was ihn besonders freut, ist der Einsatz von Schulklassen, die damit oft eine umfangreiche Recherchearbeit verbinden. „Die abstrakte Opferzahl erhält so ein individuelles Gesicht“, beschreibt Demnig seine „Denkmäler“, die ohne Bombast und moralischen Impetus auftreten.

Die Idee zu den Stolpersteinen entstand 1990 bei einer Kunstaktion: Damals legte Demnig eine Farbspur mit den Worten „Mai 1940 – 1000 Sinti und Roma“ quer durch Köln – in Erinnerung an die Deportation der Kölner „Zigeuner“. Als eine Passantin behauptete, hier habe es doch gar keine „Zigeuner“ gegeben, konnte er ihr mit einer Adressenliste das Gegenteil beweisen.

Eine inzwischen eher unbekannte Seite im künstlerischen Werk Demnigs, der in Kassel bei Harry Kramer studiert hat, sind bombastische Musikmaschinen und skurril-phantastische Automaten. Dass er dafür keine Zeit mehr hat, bedauert er nicht. „Die Arbeit mit den Stolpersteinen, insbesondere die Diskussionen mit Schülern, gibt mir wahnsinnig viel“, sagt er und lacht: „Meine Automaten hat ja auch keiner gekauft.“ Dass er heute von seiner Arbeit leben kann, gibt er gerne zu – und will sie so lange fortsetzen, wie sein Rücken mitmacht. JÜRGEN SCHÖN