Der Stadtheilige Ferdinand Porsche: Sakrileg in der Stadt des KdF-Wagens
In Wolfsburg fordert die Linkspartei eine kritische Auseinandersetzung mit Ferdinand Porsche. Der Leiter des VW-Werks hatte während der Nazizeit nichts gegen das Massensterben von Säuglingen seiner Zwangsarbeiterinnen unternommen.
HAMBURG taz |In der Porschestraße fahren keine Autos: Sie ist die zentrale Fußgängerzone in Wolfsburg. Das Rathaus steht hier und ein Stückchen weiter auch das Porsche-Hotel. Vorbei an einigen Geschäften bringen einen wenige Schritte zur Porsche-Apotheke in einem Eckhaus. Hier rechts abbiegen, und schon sieht man die Ferdinand-Porsche-Realschule. Auf deren Internet-Seite findet sich kein kritisches Wort über den Namensgeber. Der Erfinder des VW Käfer sei 1951 gestorben, heißt es da: "Aber der technische Ansporn lebt in seinem Namen weiter!"
Doch nicht alle in Wolfsburg sehen in Ferdinand Porsche nur einen genialen Autobauer. "Unglaublich" findet Pia Zimmermann von der Linkspartei den Umgang mit dem Mann, der während des Zweiten Weltkrieges das VW-Werk leitete. "Porsche war ein Kriegsverbrecher", sagt Zimmermann. Sie fordert, dass die Porschestraße und auch die Realschule umbenannt werden. Im Rat der Stadt Wolfsburg und im Niedersächsischen Landtag möchte sie das zum Thema machen: "Ein Mensch, der für so viel Leid verantwortlich ist, darf kein Vorbild sein."
Bereits in den 1980er Jahren hatte der VW-Konzern den Bochumer Historiker Hans Mommsen beauftragt, die Verstrickungen des Konzerns in der NS-Zeit zu erforschen. Wolfsburg, 1938 als "Stadt des KdF-Wagens bei Fallersleben" gegründet, sollte die Produktionsstätte von Porsches Auto für die deutschen Massen werden.
Doch der "KdF-Wagen" ging nicht in die Massenproduktion, denn das VW-Werk wurde nach Kriegsbeginn für die Waffenproduktion gebraucht: Kampfflugzeuge, Torpedohüllen, Tellerminen, Kübelwagen und "Vergeltungsraketen" (V1) wurden dort produziert, seit 1941 mit dem Einsatz von Zwangsarbeitern.
In seinem Buch "Das Volkswagenwerk und seine Arbeiter im Dritten Reich" kam Mommsen zu dem Schluss, Porsche sei der "Prototyp des ausschließlich an technologischen Fragen interessierten Fachmanns". Inwieweit er den verbrecherischen Charakter des Regimes durchschaut habe, müsse offen bleiben. Porsche sei von den Alliierten nie angeklagt worden, sagt Mommsen noch heute auf taz-Anfrage. "Deshalb ist er kein Kriegsverbrecher, auch wenn er in mancher Hinsicht verantwortlich für Zwangsarbeit war."
Deutlich schlechter kommt Porsche beim ZDF-Historiker Guido Knopp weg. In der Nazizeit habe VW zu den ersten Betrieben gehört, die Zwangsarbeiter rekrutierten, schreibt Knopp in seinem 2004 erschienenen Buch "Hitlers Manager". Im Volkswagenwerk sei eine systematische "Vernichtung durch Arbeit" betrieben worden. Neben miserabler Unterbringung, Ernährung und medizinischer Versorgung bedeutete das auch, dass Neugeborene von Zwangsarbeiterinnen den Müttern weggenommen und in ein Heim gebracht wurden.
Allein zwischen Juni 1944 und April 1945 brachen in dem Neugeborenenheim mehrere Epidemien aus - über 300 Säuglinge starben: "Letztendlich hat kaum ein Kind das Heim in Rühen überlebt", schreibt Knopp. Der zuständige Arzt Hans Körbel wurde 1947 von den Briten als Kriegsverbrecher hingerichtet. Beim Prozess sagte er aus, dass er Ferdinand Porsche an Weihnachten 1944 über den Zustand in dem Kinderheim informiert habe. Aber, schreibt Knopp: "Von einer Initiative Porsches zugunsten der Kinder von Rühen ist nichts bekannt."
1944 und 1945 wurden unter Porsches Leitung gut 14.000 V1-Raketen in den VW-Werken gebaut. "Bis zuletzt scheint er Hitlers wirren Parolen vom Endsieg geglaubt zu haben", kommentiert Knopp.
Schon in den 1980er Jahren hatte der Wolfsburger Stadtrat über eine Umbenennung der Porschestraße und der Ferdinand-Porsche-Realschule diskutiert. 1988 stellte Betty Rannenberg von den Grünen einen Antrag, der von der Ratsmehrheit abgeschmettert wurde. "Obwohl mit den Jahren der Abstand immer größer wird, sehen die jungen Menschen Porsche nicht kritischer als ihre Großeltern", sagt Rannenberg, die sich aus der aktiven Politik zurückgezogen hat. Zwar bestreite niemand, dass Porsche schlimme Dinge getan hat. Aber: "Seinen Stadtheiligen köpft man nicht."
"Es bringt nichts, per Beschluss Namen aus dem Stadtbild zu tilgen", sagt Klaus Mohrs (SPD), Wolfsburgs neuer Oberbürgermeister. Porsche habe viel für die Stadt getan, und Wolfsburg habe eben eine ambivalente Geschichte. Schließlich wäre die Stadt gar nicht entstanden, wenn Hitler nicht an der Macht gewesen wäre und im Mai 1938 den Grundstein der Volkswagenwerke gelegt hätte.
Erst vergangene Woche machte der Leiter der "Historischen Kommunikation" von VW, Manfred Grieger, die NSDAP-Mitgliedschaft von Hugo Bork bekannt: Der Wolfsburger Ehrenbürger war von 1957 bis 1971 Betriebsratsvorsitzender bei VW und zwischen 1961 und 1974 fast ununterbrochen Bürgermeister. "Das wussten wir alle. Nur wir haben es nicht publik gemacht", sagte Wolfsburgs früherer Stadtarchivar Klaus-Jörg Siegfried. Oberbürgermeister Mohrs hat angekündigt, "die Zeit seit 45" aufarbeiten zu wollen.
Mit der Aufarbeitung der Verstrickungen von Ferdinand Porsche tut sich die Stadt schwerer. "Die Stadt ist abhängig vom Konzern, unserem segensreichen Arbeitgeber", sagt Mechthild Hartung vom Verband der Opfer des Nationalsozialismus. Es komme nicht zu einer Umbenennung, weil das schlecht wäre für das Markenimage von VW: "Verkaufszahlen und damit Steuereinnahmen für Wolfsburg würden darunter leiden."
Laut Almut Henkel, der Leiterin der Porsche-Realschule mit rund 370 Schülern, finden gut 80 Prozent der Schulabgänger einen Job beim Autobauer oder seinen Zulieferbetrieben: "20 Prozent unserer Schüler schaffen es nach dem Schulabschluss direkt zu VW." Weder Schüler noch Lehrer wollen ihre Schule umtaufen, sagt sie.
Henkel findet es "wichtig, dass die Schüler beide Seiten der Persönlichkeit Porsches sehen". Deshalb gebe es für Zehntklässler mehrere Projekte wie den Besuch in einem KZ bei Nordhausen oder einen Rundgang durch Wolfsburg - auch zu dem Friedhof, wo das Mahnmal für die Säuglinge stehe: "An solchen Orten wird den Schülern bewusst, was für Grausamkeiten da passiert sind."
Bei einem solchen Projekt, sagt Henkel, hätten die Schüler auch Ferdinand Porsches Lebenslauf auf die Internetseite der Schule gestellt. Das Massensterben im Säuglingsheim kommt darin nicht vor.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste