: Der Staat tanzt mit der größten Compagnie
Mit 80 Tänzern ist das neue Staatsballett Berlin das größte der Republik. Dennoch fielen der Opernreform 100 Stellen zum Opfer
Alle Hoffnung ruht jetzt auf Vladimir Malakhov. Er ist der Intendant des neu gegründeten „Staatsballetts Berlin“, das sich gestern mit einer ersten Pressekonferenz vorstellte. Mit ihm wird ein langfristiges Projekt der Kulturpolitik, dem Ballett mehr Selbstständigkeit zu gewähren, endlich umgesetzt. Der Name „Staatsballett Berlin“ signalisiert den Ehrgeiz, bald international mit Ballettstädten wie Stuttgart, Wien, Paris oder London konkurrieren zu können.
Bisher kennt man Malakhov vor allem als gefeierten Solisten und Ballettchef an der Staatsoper Unter den Linden, der die Pflege des klassischen Repertoires zu einer Angelegenheit mit viel Herzblut machte. Den repräsentativen Kunstformen neues Leben zu einzuhauchen, indem sie wieder zart, poetisch und verletzbar wirken, liegt ihm zweifellos. Als Sachwalter der Moderne kennt man Malakhov bisher nicht. Doch auch dort die entscheidenden Verbindungen zu knüpfen, etwa zu dem Choreografen William Forsyth aus Frankfurt, ist jetzt seine Aufgabe. Als durchsetzungsfähigen Intendanten kann man sich den schmalen Tänzer nur schwer vorstellen; allein wie er die Qualitäten der Staatsopern-Compagnie bisher herausgestellt hat, spricht für seine Kompetenz.
Die neue Compagnie wird mit über 80 Tänzern die größte in Deutschland sein; 51 kommen von der Staatsoper, 20 aus dem Ensemble der Deutschen Oper, 20 werden neu engagiert. Über hundert Tänzerstellen sind damit im Lauf der Opernreform in allen drei Opernhäusern weggefallen. Ganz aufgelöst wurde die Compagnie der Komischen Oper, die ihre letzte Premiere Ende der Woche zeigt. Dieser Personalabbau macht es schwer, die Gründung des Staatsballetts Berlin als Neuanfang zu feiern und nicht als eine Geschichte des Wegkürzens zu lesen.
Die größte Erleichterung war gestern bei Kultursenator Thomas Flierl (PDS) spürbar. Die Eigenständigkeit des Balletts war zwar stets ein angestrebter Teil der Opernreform, kam unter dem Label „Berlin Ballett“ aber 15 Jahre lang kaum vom Fleck. Erst unter dem Dach der Operstiftung gelang die Neugründung. Sie hat allerdings noch immer Vorgaben der Einsparung umzusetzen. Georg Vierthaler, kommissarischer Koordinator der Stiftung Oper und zugleich kommissarischer Geschäftsführer des Staatsballetts Berlin, stellte denn auch unter der Rubrik „wirtschaftliche Startbedingungen“ harte Aufgaben vor: 2,1 Millionen Euro müssen noch durch die „Abschmelzung“ von 40 Stellen eingespart und ein Minus im Einnahme-Soll muss ausgeglichen werden. Der eigene Etat des Staatsballett besteht aus 12 Millionen Euro.
Das Ballett wird ab der nächsten Spielzeit in der Staatsoper Unter den Linden und in der Deutschen Oper auftreten, später voraussichtlich auch in der Komischen Oper. Die Satzung der Stiftung Oper soll sichern, dass die Bühnen und die Orchester dem Ballett für 100 Aufführungen im Jahr zur Verfügung stehen. Genau darin liegt einerseits die Chance für die Eigenständigkeit einer künstlerischen Konzeption, andererseits wird diese Konstruktion auch mit Misstrauen betrachtet. Stehen die Orchesterdienste dem Ballett wirklich, wie alle versicherten, kostenlos zur Verfügung?
Der Spielplan, den Malakhov dann vorstellte, wirkt zunächst sehr vertraut, baut er doch auf Wiederaufnahmen und Neueinstudierungen auf. Doch die Choreografien von George Balanchine, Maurice Béjart, Jiri Kylián und Angelina Prejocaj stehen für eine Neoklassik, die dem neuen Ensemble Gelegenheit bietet, sich als Compagnie zu bilden und zu verbessern. Malakhov will die Qualität anheben, das ist ihm als Künstler wichtiger, als ein künstlerisches Wagnis einzugehen. Mit jungen Choreografen zusammenzuarbeiten ist erst der nächste Schritt. Das wird also noch dauern, dass Berlin sich einen neuen Ruf als Ballettstadt erwerben kann.
KATRIN BETTINA MÜLLER