: „Der Spielraum für Experimente ist vorbei“
■ Gerd Spieckermann von der Bundesvereinigung für soziokulturelle Projekte
taz: Soziokultur in den neuen Ländern – gibt es das überhaupt?
Spieckermann: Bei uns in der Bundesvereinigung sind etwa vierzig soziokulturelle Einrichtungen aus den neuen Ländern Mitglied. Insgesamt dürfte deren Zahl inklusive des Ostteils von Berlin zwischen 500 und 600 liegen. Das sind zum Teil alte Kulturhäuser, die zu Zeiten der DDR die Stätten des „künstlerischem Volksschaffens“ waren und sich heute schlicht zum soziokulturellen Zentrum umbenannt haben, zum Teil neue Initiativen, die sich eher dem Bereich der Bürgerbewegung zuordnen.
Im Bereich der Breitenkultur wurde nach der Wende zum Kahlschlag angesetzt. Konnte dies von neuen Initiativen ausgeglichen werden?
Nein, das bewegt sich auf einem niedrigerem Level als vor der Wende. Im Bereich Kulturhäuser, Klubs, Bibliotheken gab es Rückgänge bis zu 50 Prozent. Zusätzlich wurden viele neue Initiativen wieder plattgemacht, weil die ABM gekürzt wurden und die Kommunen bestrebt sind, zuerst ihre eigenen Einrichtungen zu halten.
Gibt es im Westen ein Zentrum, daß sich vollständig ohne öffentliche Mittel trägt, quasi als Vorbild für den Osten?
Nein, das geht nicht. Man kann natürlich einen Laden mit einem guten Musikprogramm und einer Kneipe rentabel führen. Das kann man dann aber tatsächlich auch kommerziellen Anbietern überlassen. Der Spielraum für Experimente oder risikofreudigere Projekte ist vorbei.
Ist es der Bundesvereinigung überhaupt gelungen, einen Dialog zwischen den Einrichtungen herzustellen?
Ich glaube, wir sind in den letzten Jahren ein kleines Stück vorwärtsgekommen, aber es gibt noch zuwenig gegenseitiges Verständnis. So hegen die Leute aus den Westzentren oft die Befürchtung, daß der Begriff Soziokultur in den neuen Ländern aufgrund einer ganz anderen geschichtlichen Erfahrung verwässert wird. Ich würde dies als Veränderung bezeichnen, nicht aber als Verwässerung. Während im Westen Sozialarbeit eher mit dem Siegel „Kitt für die kapitalistische Gesellschaft“ versehen ist, ist man da im Osten offener und unbefangener. Dann spielen unterschiedliche Begrifflichkeiten eine große Rolle. Im Westen redet man beispielsweise immer von Politisierung der Zentren, dagegen hat man sich im Osten erst mal gewehrt. Aber das liegt eher an der Begrifflichkeit, denn die Einrichtungen werden dort auch gesellschaftspolitisch tätig. Ähnlich ist es mit der Selbstverwaltung, die von den Westzentren massiv vertreten wird. Einrichtungen im Osten gehen da pragmatischer damit um. Die Leute, die arbeiten und aktiv werden, entscheiden über die Belange des Hauses, nicht alle Besucher.
Welche Perspektive haben die soziokulturellen Zentren angesichts sich verändernder gesellschaftlicher Zustände?
Die Zentren müssen in der ganzen Republik wieder mehr Mittelpunkt des „widerständigen Milieus“ werden. Sie müssen wieder einen Ort für soziale Bewegungen darstellen und die dementsprechende Infrastruktur bereithalten für die Artikulation anderer. Speziell im Westen und gerade bei den größeren Zentren ist aber zu beobachten, daß sie in der Öffentlichkeit nurmehr als professionelle Kulturveranstalter wahrgenommen werden. Sie sind oft auch selbst zuwenig in der Lage, bestimmte politische Themen zu artikulieren oder Leuten Möglichkeiten zu geben, aktiv zu werden. Wenn sich diese Entwicklung fortsetzt, muß man sich tatsächlich fragen, ob diese Zentren heute noch einen Sinn haben.
Ihr habt 1989 einen „Kongreß der SiegerInnen“ veranstaltet. Könnte das Motto 1993 noch genauso heißen?
Daß heute soziokulturelle Zentren als normal angesehen werden, ist erst mal ein Erfolg. Auf der anderen Seite muß man fragen, was denn von den ursprünglichen Ansprüchen noch übriggeblieben ist. Ich habe meine Zweifel, ob die in der Praxis noch eine Rolle spielen. Eine Rückbesinnung auf Begriffe wie Politisierung des eigenen Alltags, aber auch eine Weiterentwicklung von Arbeitsansätzen auf dem Hintergrund sich wandelnder Zeiten wäre also angesagt.
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