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Archiv-Artikel

Der Spaßmacher und die Elefantenrunde

VOLKSBÜHNE Während am Wahlabend Jürgen Kuttner und Co. mit „Make Love Not Wahl – No Stress At All“ Angela Merkel auf die Schippe nehmen, sehnt sich der Autor eher nach einem Fernseher und handfesten Ergebnissen

Eigentlich finde ich es ja ganz okay, wieder von einer Frau regiert zu werden

VON DETLEF KUHLBRODT

Die Sonne scheint, das Leben ist schön. Der Wahltag ist der Sonntag der Demokraten. Ich habe geduscht und schöne Sachen angezogen. Eigentlich ist Wahltag noch schöner als Geburtstag, Silvester oder Weihnachten. Es gibt aber auch Menschen, die das ablehnen – „ohne mich!“ – und dann doch kleinlaut kurz vor sechs im Wahllokal auftauchen (und die Piratenpartei wählen, hahaha).

Tags zuvor war mir im Auftrag „meiner“ SPD-Kandidatin Cansel Kiziltepe noch eine rote Rose überreicht worden. Flaschenöffner und Kugelschreiber gab’s auch. Weil die Wahlkampfhelfer vor Kaiser’s am Mehringplatz so nett schienen, hatte ich dem Mann mit der Motz-Zeitung ein paar Münzen gegeben.

Ich gehe am Kanal spazieren und denke zurück: Wie traurig mich die Wahlergebnisse 1984 und 1990 gestimmt hatten, wie fröhlich die Piraten noch letztes Jahr gewesen waren oder dass man früher gedacht hatte, die Welt würde sicher bald untergehen.

Gut gelaunte Wählergruppen lächeln mich an. Mit Kreide auf den Gehwegen hat der parteilose Kandidat Beckmann noch einmal auf sich aufmerksam gemacht. Was bedeutet nur das „WIR“, von dem auf den Steinbrück-Plakaten die Rede ist? Gibt es ein IHR, das dem WIR entgegensteht und so die sympathische Nettigkeit dieses WIR dann doch wieder sozusagen konterkariert? Und was soll ich wählen?

Um den Wahltag interessanter zu gestalten, hatte ich meine Wahlentscheidung vor mir verborgen und studiere nun den Wahlzettel in der AWO, dort war das Wahllokal, sehr aufmerksam. Toll, dass auch die Partei der Hundefreunde zur Wahl steht! In der Wahlkabine links neben mir sitzt grad der Mann vom Kiosk, bei dem ich immer Zigaretten kaufe. „Hallo.“ – „Hallo.“ In Schönschrift mache ich meine Kreuzchen, bin halbwegs sicher, eine gute Wahl getroffen zu haben, wünsche den netten WahlhelferInnen noch einen schönen Tag und geh wieder nach Haus.

Es ist zwei. Vielleicht auch drei. Im Internet erzählen Bekannte von Gummibärchen, die sie im Wahllokal geschenkt bekommen hatten. Die Gummibärchen hatte ich völlig übersehen.

Um den Wahltag sinnvoll zu nutzen, repariere ich mein Fahrrad.

Vor zwei Wochen hatte ich noch versagt; diesmal gelingt es mir, das Löchlein im Reifen wieder wegzumachen. Toll, was ich alles kann!

Es ist halb sechs. Normalerweise würde ich mir nun mit Freunden die schönen Wahlsendungen anschauen und dabei rauchen und trinken. Stattdessen fahre ich zur Volksbühne. Unter dem Motto „Make Love Not Wahl – No Stress At All“ macht Jürgen Kuttner hier eine Veranstaltung, die um 17.59 Uhr beginnen soll. Ich bin komplett nervös. Den Wahlabend hier zu verbringen ist ja so ähnlich, wie Silvester beziehungsweise Weihnachten in der Volksbühne zu sein. Wie sehr sehne ich mich doch nach der ersten Prognose. Stattdessen gibt es einen Wahlkampfclip der Kanzlerin in Slow Motion. Ganz langsam, so wie Junkies manchmal sprechen. Das dauert zwanzig Minuten. Again and again and again and again. Anfangs lachen die Menschen noch; dann nicht mehr so. Ich fühle mich um meinen Wahltagsspaß betrogen.

Endlich kommt Kuttner. Wenn Kuttner Kanzler wäre, würde ich in der Volksbühne einfach einen Kuttner-Clip doppelt so schnell laufen lassen. So! Da würde er sich ganz schön ärgern. Der Moderator, dessen Bruder auch Kuttner genannt wird, hat eine Flasche Bier dabei und sagt, er mache das alles nur aus Pflichtbewusstsein und weil er das doch schon dreimal gemacht hatte. Die einzige schwierige Entscheidung sei gewesen, ob man wählen geht oder nicht. Ich seh das anders.

Insgeheim hatte ich gehofft, dass irgendwo Fernseher stehen würden, aber es gibt keine. Während Michael Letz ein liberalenkritisches Lied von 1848 singt, fühl ich mich wie bei einem WM-Finale ohne Guckmöglichkeit und kann das nicht angemessen würdigen. Mit fetten Beats kommt ein Anti-FDP-Lied vorbei. Kuttner präsentiert lustige Clips von 89 und 2001. Stefan Schwarz macht irgendwas mit Telepathie und Zufallskandidaten; obgleich Kuttner seine Notizen vergessen hat, ist er gut in Form. Nur ich sehn mich nach einem Fernseher.

In der Pause steht man in Trauben vor einer Tafel, auf der die letzte Hochrechnung notiert ist. Viele Leute hier sagen „entsetzlich“ und hoffen auf Neuwahlen.

Die Elefantenrunde, bei der Kuttner und die anderen die Sätze nachsprechen, die die echten Elefanten im echten Fernsehen sagen, ist ein großer Spaß und großartig. Man möchte die Kanzlerin; eine Meerjungfraupuppe mit piepsiger Stimme, gern herzen. Eigentlich finde ich es ganz okay, von einer Frau regiert zu werden.

Zu Hause dann endlich Fernsehen. Die meisten Politiker freuen sich. Wie interessant wäre es doch, jetzt CDU- oder Grü- nen-Politiker zu sein. Später fällt mir ein, dass ich niemanden kenne, der je CDU gewählt hätte. Das geht, glaube ich, vielen so. So viel zur Mitte. Vielleicht meine Eltern früher, doch das war ein großes Geheimnis. Die Hundepartei bekam übrigens 673 Stimmen in Kreuzberg-Friedrichshain-Prenzlauer-Berg-Ost.