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Der Schuß daneben

■ Franca Rames und Dario Fos „Die Heroine“: Premiere auf Kampnagel

Die Tage des Jugendtheaters auf Kampnagel, JAK, unter Jürgen Zielinski sind wahrscheinlich gezählt. Aufmunternde Signale des neuen Kampnagel-Leiters Res Bosshardt sind nicht zu hören. In das Schweigen zündet Zielinski eine hypervoll gestopfte finale Theaterkartusche, die deutsche Erstaufführung des Drogen-Stückes Die Herione vom erfolgreichen italienischen Autoren- und Spielpaar Franca Rame und Dario Fo.

In assoziationsstrotzender Reihung flirren und rauschen die Bilder nur so um den Kopf. Eine absurde Großstadtmelodie. Nichts zum Mitschunkeln, eher etwas zum Reintaumeln – wenn man nicht schnell aussteigt. Der schrille Mix aus Hinter-dem-Bahnhof-Fixerei und Wieviele-Süchte-gibt-es geistert in Video-Clip- und Zapp-Geschwindigkeit über die Bühne.

Und alles ist so wahr, wie wir es täglich im Fernsehen erleben. Krempelverkäuferin Carla schuftet, um für die nadelnde Tochter Stoff anzuschaffen. Die liegt daheim gefesselt. „Du scheiterst nicht an der Sucht, sondern daran, aus der Beschaffungsszene rauszukommen.“ Damit lügt sie, deren zwei Söhne an der Nadel verreckten, sich die Tasche voll, und sie bleibt auch weiterhin im Muster: „Wieso meine Kinder? Ich habe doch immer das beste für sie getan.“

Nach Abstecken des Handlungsrahmens mit originellem Livemusikausflug in die verführerisch glitzernde Warenwelt fällt Carla, die hochtourig powernde Petra Kelling, in einen Alptraum mit den Beatles als Leitmotiv: „Look at all the lonely people..“ Es träumt ihr von Passanten, lebensechtem Junkie (Rainer Kleinespel), Penner mit Heldentenor (Hans Gröning), Kaufgeilen und Perversen, korruptem Kommisar (Rainhard Krökel), Nazi im Rollstuhl, Untotem mit raushängendem Gedärm (Eric Schäffler), falschem Blinden (Stefan Mehren), nackten Ärschen und vielen Präsern zu Händen eines Taubstummen (Ercan Dumaz), einem seltsam verwirrten Mädchen (Esther Linkenbach). Verschnaufen kann man nicht beim Zuschauen. Offene und kryptische Hinweise auf allerlei Süchte reihen sich furios aneinander. Der Text jedoch ist schmal und würzt nur sporadisch mit harten Fakten über Drogen und Aids. Carlas Dialoge mit laut donnerndem Gott und leibhaftiger Maria (Ursula Berlinghof) bleiben italienisch-katholische Fremdkörper.

So gerät die Inszenierung zum Objekt. Theater führt sich orgiastisch-fesselnd selbst vor und schafft statt vermutlich gewollter ironischer Distanzierung einen eher larmoyanten Schluß. Das JAK setzt sich einen goldenen Schuß mit gestrecktem Stoff.

Ludwig Hugo

Kampnagel H4, Dienstag 11 Uhr, Mittwoch 19 Uhr

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