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■ Der Sachsenhausen-Prozeß vor dem ScheiternVertane Chance

Es gibt nur wenige Möglichkeiten, der Welt zu zeigen, daß Rechtsradikalismus, Nazismus und Ausländerfeindlichkeit hier wirklich bekämpft werden. Es gibt nur wenige Chancen für Politiker, zu beweisen, daß sie nicht nur leere Worte sprechen, sondern auch mit Taten die Angst vor dem „häßlichen Deutschen“ nehmen wollen. Eine dieser Chancen wird derzeit kläglich vertan. Nach dem Brandanschlag auf die KZ- Gedenkstätte in Sachsenhausen im Herbst letzten Jahres hatte Bundeskanzler Kohl lautstark angekündigt: „Die Gewalttäter werden verfolgt und die volle Härte des Gesetzes zu spüren bekommen.“ Am Mittwoch abend, nach dem elften Verhandlungstag gegen die beiden mutmaßlichen Brandstifter, wurde einer der beiden Angeklagten auf freien Fuß gesetzt. Sollte er am Brandanschlag überhaupt beteiligt gewesen sein, dann war er allenfalls Mitläufer und wird im Höchstfall zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. Der andere Angeklagte ist ein Fall für den Psychiater.

Juristisch mag dies angehen, politisch auf keinen Fall. Polizei und Staatsanwaltschaft ermittelten derart schlampig, daß das Gericht keine andere Chance hatte, als den Haftbefehl aufzuheben. Bei den Ermittlungen reihte sich Panne an Peinlichkeit. Die Sonderkommission zur Untersuchung der Brandstiftung bestand zeitweise aus nur zwei Polizisten. Zwei dringend Tatverdächtige wurden über Monate hinweg nicht vernommen. Weiterhin erhob die Staatsanwaltschaft Anklage auf der dürftigen Basis von zwei windigen, inzwischen widerrufenen Geständnissen. Nach weiteren Mittätern wurde gar nicht erst gesucht. Und zuletzt wurde ein Staatsanwalt eingesetzt, der überhaupt nicht mit dem Fall vertraut war. Als das Verfahren dann zu kippen drohte, ermittelte man hektisch nach, doch auch das brachte keine neuen Erkenntnisse.

Verantwortlich für dieses Desaster sind nicht nur kleine Polizeibeamte oder Staatsanwälte. Der Fisch stinkt vom Kopfe her. Zur Rechenschaft gezogen werden müßten Brandenburgs Justizminister Bräutigam und Innenminister Ziel. Denn Sachsenhausen ist nicht die einzige Panne, die diesem Bundesland im Umgang mit Rechtsradikalen in letzter Zeit unterlief. Vor den Augen der Polizei konnten sich vor kurzem 800 Skinheads in Prieros versammeln, und am Bützsee wurde gemütlich eine rechte Sonnenwendfeier zelebriert. Schon damals wackelte Ziels Stuhl erheblich.

Die Brandstiftung im KZ füllte seinerzeit die Titelblätter nationaler und internationaler Zeitungen. Auch das unverantwortliche Ermittlungschaos wird wieder durch die internationalen Medien jagen und die Unglaubwürdigkeit deutscher Politik offenlegen. Anja Sprogies

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