: Der Rummel über der Wüste
DESERT BLUES Die Band Tamikrest aus Mali steht für eine neue Generation des Tuareg-Rock. Ab Mai kommt sie mit der befreundeten Rockgruppe Dirt Music auf Deutschland-Tournee
VON DANIEL BAX
Sie wohnten im Zelt neben uns“, erzählt Chris Eckman von seiner ersten Begegnung mit den Tuareg-Musikern von Tamikrest. Kaum angekommen beim berühmten Festival au Desert, das 2001 in der Wüste von Essakane aus dem Sand gestampft worden war und seither Gäste und Musiker aus aller Welt anzieht, lief Eckman dem jungen Gitarristen Ousmane Ag Moussa über den Weg. „Fast die ganze Zeit hingen wir zusammen ab, tranken Tee und machten gemeinsam Musik.“ Das spontane Zusammentreffen sollte Folgen haben.
Zwei Jahre später sitzen die beiden in Berlin in einem Hotelzimmer und reden über das, was seitdem passiert ist. Ousmane Ag Moussa hat einen portablen Gasherd dabei, um sich darauf den starken Tee der Tuaregs zu kochen. „Nichts an diesem Projekt war einfach, vieles hatte mit Glück zu tun. Aber das meiste hat geklappt“, berichtet Chris Eckman stolz. Nach seiner Rückkehr aus Mali fasste der Gitarrist und Sänger der Rockband The Walkabouts aus Seattle den Entschluss, sich mit den neuen Freunden aus der Sahara im Studio zu treffen. Per E-Mail, über Mobiltelefone und Kontaktleute verabredete man ein Wiedersehen in Malis Hauptstadt Bamako. „Sie leben zwar in der Mitte der Wüste, aber sie besitzen Mobiltelefone“, betont Eckman. „Für sie war die Anreise allerdings schwieriger. Wir kamen mit dem Flugzeug aus Paris, sie mussten eine Tagesreise quer durch das Land antreten“.
So entstand das Album „Adagh“, mit dem Tamikrest im Mai nach Europa kommen. In den Liedern, die Ousmane Ag Moussa mit rauer Stimme vorträgt, geht es um das Leben in der Sahara, das Aufbegehren gegen Ungerechtigkeit und den Wunsch nach Freiheit und Eintracht. Es sind ausgedehnte, meditative Melodien, die eine fast trancehafte Atmosphäre verströmen. Die geisterhaft flehenden Gitarren und der grummelnde Bass sind nur sparsam verstärkt und verzerrt und von zurückhaltender Perkussion untermalt.
Tamikrest sind die jüngsten Vertreter eines Genres, das man Tuareg-Rock nennen kann. Mit elektrischen Gitarren greifen sie jahrhundertealte Melodien auf, die an den Lagerfeuern der Saharanomaden von Generation zu Generation weitergegeben wurden, und verweben sie mit den Mustern der westlichen Rockmusik und lang gezogenen Reggaerhythmen zu einem eigenständigen Stil. Die Texte kreisen um zeitlose Themen wie die Liebe oder artikulieren das Unbehagen der Kel Tamasheq – der Leute, die Tamasheq sprechen, wie sich die Tuareg selbst nennen. Tamikrest verleihen den Gefühlen und Sehnsüchten eines Volks Ausdruck, das in den letzten Jahrzehnten einen radikalen Wandel seiner Lebensweise durchmachen musste und sich durch die Entwicklungen in ihrer Region an den Rand gedrängt fühlt.
„Natürlich waren Tinariwen unsere Vorbilder“, erklärt Ousmane Ag Moussa. „Wir haben oft ihre Songs gehört, sie haben mich beeinflusst“w. Die Anfänge der legendären Tuareg-Band, deren Name so viel wie „Leerer Ort“ bedeutet, lassen sich in ein Ausbildungslager zurückverfolgen, das der libysche Oberst Gaddafi Anfang der Achtzigerjahre einrichten ließ. Zu jener Zeit waren viele junge Tuareg vor der Dürre und dem politischen Druck in Niger und Mali gen Norden geflohen, nach Algerien und Libyen, wo sie sich als Tagelöhner ohne Perspektive durchschlugen. Der libysche Potentat hoffte, aus diesem Potenzial für sich eine schlagkräftige Söldnertruppe zu schmieden, um seine territorialen Ambitionen zu befriedigen.
Zu Beginn waren die Tuareg-Musiker, die sich zur Keimzelle von Tinariwen formten, nicht viel mehr als ein Propagandaarm einer Tuareg-Rebellengruppe. Mit aufrührerischen Songs warben sie für die politischen Ziele dieser Bewegung und stachelten zum Aufstand auf. Im Juni 1990 brach die Revolte los, die als zweite große Tuareg-Rebellion in die Annalen eingehen sollte – die erste hatte sich kurz nach der Unabhängigkeit in den Sechzigerjahren ereignet.
Auf Kassetten machten die Aufnahmen von Tinariwen die Runde und verbreiteten ihren Ruf überall da, wo Tuareg lebten, von Mali über Algerien und Libyen bis Niger und Burkina Faso. Nach dem spektakulären Friedensschluss im Jahr 1996 tauschten sie ihre Kalaschnikows endgültig gegen E-Gitarren ein. Seit dem Jahr 2000 tauchten Tinariwen in ihren indigoblauen Gewändern, die Männer mit charakteristischem Turban und Gesichtsschleier, auf europäischen Weltmusikfestivals auf. Ihr energischer Bluesrock klang einerseits vertraut und doch seltsam fremd und zog das Publikum in einen hypnotischen Sog.
Tamikrest stehen nun für eine neue Generation. Der Name bedeutet so viel wie Knotenpunkt oder Bündnis und bezieht sich auf die Provinzhauptstadt Kidal, das Basislager der Band. „Dort hat alles angefangen, dort hat sich unsere Gruppe formiert“, erklärt Ousmane Ag Moussa. Die 6.000-Seelen-Stadt wurde vor hundert Jahren von französischen Kolonialherren als Militärposten in der Wüste gegründet, heute ist sie ein Knotenpunkt für den Schmuggel von Zigaretten, Cannabis, Waffen oder illegalen Flüchtlingen nach Europa.
Seit Mai 2006 hat sich die Lage um Kidal wieder zugespitzt. Zwischenzeitlich ein beliebtes Ziel für Saharatouristen, ist die Region damit wieder an den Rand der Aufmerksamkeit geraten. Mit ihrer Musik wollen Tamikrest daran jetzt etwas ändern.
■ Tamikrest: „Adagh“ (Glitterhouse)