Der Rote Faden : Alexisallein zu Haus
durch die woche mit
Robert Misik
Noch einmal schlafen, dann wissen wir, ob Syriza nur eine Episode war oder ob sich Alexis Tsipras doch noch in eine zweite Amtszeit retten kann. Ein Herzschlagfinish wird das in jedem Fall, dabei hatte das noch vor ein paar Wochen ganz anders ausgesehen. Was, verdammt noch mal, ist da denn passiert, während wir nicht allzu aufmerksam hingesehen haben, weil wir alle auf Bahnhöfen mit Wichtigerem beschäftigt waren? Hatte Tsipras nicht vor drei Wochen noch Zustimmungsraten von 70 Prozent, während die Konservativen nur einen Übergangskandidaten als Parteichef hatten?
In meinem Hotel am Exarchia-Platz in Athen ist ein großes Hallo, Linke aus aller Welt steigen hier ab, ein bisschen fühlt sich das nach Interbrigaden an. In einem Café ein paar Meter weiter treffe ich Giorgos Chondros, er ist ZK-Mitglied von Syriza. Was war der Fehler zu viel? Die „Kapitulation“ vom Juli, als sich Tsipras von den Eurozonen-Hardlinern erpressen ließ? Oder der Neuwahlbeschluss? Beides war wohl unvermeidbar, und den Kompromiss vom Juli haben die Griechen auch verziehen, schließlich hat Tsipras ja wie ein Löwe gekämpft.
„Es war sicherlich ein Fehler, dass Tsipras keinen Parteitag vor den Wahlen abhalten wollte“, meint Chondros. Das wäre der einzige „vermeidbare“ Fehler gewesen. Mit einem Parteikonvent hätte Tsipras zwar seine innerparteilichen Opponenten nicht für sich gewinnen können, aber das große Lager der Skeptiker, also diejenigen, die durch die Achterbahnfahrt der vergangenen Monate verunsichert und frustriert worden sind.
Syriza, die Parteiaktivisten, aber auch die größeren Kreise der Sympathisanten und potenziellen Wähler sind demoralisiert. Der Partei ist die Botschaft abhandengekommen: Ist sie jetzt eine Antiausteritätskraft? Oder verteidigt sie jetzt das Austeritätsprogramm, das sie akzeptieren musste? Die Antwort lautet: beides ein wenig. Dass das keine besonders elektrisierende Botschaft ist, ist klar.
So präsentiert sich die Partei als Kraft des „Neuen“. Neu, das ist irgendwie das einzige verbliebene Schlüsselwort in diesem Wahlkampf. „Jung & Neu“, das soll die Botschaft ersetzen, die einem abhandengekommen ist.
Natürlich ist es ein wenig gemein, nach den Fehlern zu suchen, die Tsipras und seine Leute gemacht haben. Sie wurden von den Machthabern EU-Europas unterminiert, die sie genau in die Lage bringen wollten, in der sie sich jetzt befinden. Was genau ist der Fehler dessen, der in die Ecke gedrängt wird und eine Pistole an den Kopf gedrückt bekommt? Aber gut, die Welt ist ungerecht. Wussten wir vorher schon.
Und dass die Linke sehr talentiert darin ist, ihre eigenen Leute zu demontieren, das ist auch nicht ganz neu. Denn in diese Lage ist Tsipras ja erst gekommen, weil der linksradikale Flügel von Syriza entschlossen war, ihm die Gefolgschaft zu versagen. Eine Fundamentalkritik zu üben, Tsipras als „Verräter“ zu brandmarken – kurzum das zu tun, was Linksradikale immer am liebsten tun, nämlich moderate linke Premiers ins Wanken zu bringen, damit dann Konservative zu Premiers gewählt werden. Im strategischen Denken war der gemeine Sektierer noch nie sehr gut.
So schleppt sich der Wahlkampf durch die letzten Tage, und anders als im Januar hat kaum jemand das Gefühl, dass es um irgendetwas Bedeutendes ginge. Dabei steht viel auf dem Spiel: Syriza könnte von einer großen Hoffnung zum großen Desaster der europäischen Linken werden. Wird Tsipras jetzt abgewählt, wird das nicht der heroische Abgang eines von übermächtigen Gegnern Geschlagenen. Im Gegenteil, den neoliberalen Eliten wird es ein Leichtes sein, Syriza zur Lachnummer, zur lächerlichen Dilettanten-Episode zu stilisieren.
Rettet Tsipras sich mit einem blauen Auge und zwei, drei Prozentpunkten Vorsprung über diese Wahlklippe, dann wird er wohl in einer neuen, Mitte-links-Koalition regieren, und der Schalter wird auf Restart gestellt: Dann wird seine Regierung versuchen müssen, in mühsamer Kleinstarbeit erstens das Land praktisch zu reformieren und zweitens in Europa Schicht für Schicht Allianzen zu bilden, mit jenem Teil der europäischen Sozialdemokratie, der dafür empfänglich ist, mit Gewerkschaften, Sozialbewegungen, auch mit progressiven Christdemokraten, vielleicht auch mit einer PSOE-Podemos-Koalition in Spanien, sollte die gewählt werden.
Dass die Herkulesaufgabe, Europa auf neuen Kurs zu bringen, mit Oskar Lafontaine und dessen zehn besten Freunden (sofern der noch so viele hat) allein nicht hinhauen wird, das haben Tsipras und seine Leute mittlerweile begriffen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen