■ Der Parteitag der Sinn Féin in Dublin: In hundert Jahren oder in zehn?
Eins hat der Sinn-Féin-Parteitag in Dublin deutlich gemacht: Für den politischen Flügel der IRA spielt es keine Rolle, was in dem anglo-irischen Diskussionspapier zu Nordirland steht. Man ist bereit, die Speisekarte eines Chinarestaurants als Verhandlungsbasis zu nehmen, wenn es nur zu Gesprächen zwischen allen Parteien führt. Offenbar denkt Sinn Féin, daß man die Unionisten über den Tisch ziehen kann, wenn man sie erst mal an denselben gelockt hat.
Diese Haltung ist verständlich, aber nicht ungefährlich. Die Sinn-Féin-Führung hat der Parteibasis – und der IRA – am Wochenende ein ums andere Mal versichert, daß das anglo-irische Diskussionspapier ein Eingeständnis des Scheiterns der britischen Nordirlandpolitik sei und unweigerlich zu einem vereinigten Irland führen werde. Sicher: Die irische Vereinigung wird kommen. Aber jetzt werden die Weichen dafür gestellt, ob sie in zehn Jahren oder in hundert Jahren kommt. Je höher die Erwartungen, desto größer wird die Ungeduld bei der Basis über das Schneckentempo des Friedensprozesses sein. Die Rückkehr zum bewaffneten Kampf ist allerdings keine Option. Der sechs Monate währende IRA-Waffenstillstand hat vor allem in den Hochburgen der paramilitärischen Organisationen zu einer relativen Normalisierung des Alltags geführt. Ohne die Unterstützung der Bevölkerung in den Ghettos wäre es aber nur eine Frage von Monaten, bis die IRA militärisch besiegt wäre. Dasselbe gilt für die Gegenseite.
Deshalb sind die paramilitärischen Organisationen zur Zeit fest entschlossen, den Frieden zu wahren. Das kann man von den unionistischen Parteien und der britischen Regierung nicht behaupten. Daß die Unionisten-Führer die „Charme-Offensive“ Sinn Féins zurückweisen würden, war vorherzusehen. Das Momentum für den Friedensprozeß – damit hat Sinn Féin recht – muß von der britischen Regierung kommen. Nie waren die Voraussetzungen günstiger: Die überwältigende Mehrheit der unionistischen Bevölkerung ist dafür, daß sich ihre Politiker an Gesprächen beteiligen. Doch Premierminister John Major scheut sich, in dieser Richtung Druck auszuüben, und stellt statt dessen immer neue Hürden auf, um Sinn Féin vom Verhandlungstisch fernzuhalten.
So muß man wohl bis zu den Parlamentswahlen in zwei Jahren warten: Wenn danach klare Mehrheitsverhältnisse im Unterhaus herrschen, muß Majors Nachfolger nicht mehr vor den Unionisten zu Kreuze kriechen. Hoffentlich verliert bis dahin niemand die Nerven. Ralf Sotscheck
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