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■ Der Norden wird die Weltfrauenkonferenz dominieren. Private, nicht wirtschaftliche Rechte stehen im VordergrundEs kommt nur darauf an, wer am lautesten schreit

Wenn die Pekinger Weltfrauenkonferenz in den nächsten zwei Wochen über ein neues UN- Abschlußdokument streitet, dann sind die Fronten klar umrissen. Es werden sich wieder einmal die Vertreterinnen der arabischen und islamischen Staaten, zusammen mit denjenigen einiger katholischer lateinamerikanischer Länder, als die Buh-Frauen und Bremserinnen erweisen. Einmal mehr werden sie, gemeinsam mit Abtreibungsgegnerinnen und dem Vatikan, ihre konservativen Fahnen hochhalten.

Schon das Vorspiel zur Konferenz machte dies deutlich. Die islamische Azhar-Universität in Kairo, eine der höchsten Rechtsautoritäten im sunnitischen Islam, betonte letzte Woche den Wert der Familie als Bollwerk gegen den Morast des westlichen Verfalls. Ägyptens First Lady Susan Mubarak versprach vor ihrer Abreise nach Peking, nichts zuzulassen, was dem Islamischen Recht in irgendeiner Weise widersprechen könnte; ein Recht, das grundsätzlich die Gleichheit von Mann und Frau, etwa im Erb- und Scheidungsrecht, in Frage stellt. Die Zeichen stehen auf einen erneuten islamisch-katholischen Schulterschluß, ähnlich wie bei der Weltbevölkerungskonferenz in Kairo im vorigen Jahr. Doch während sich viele der Delegierten aus der arabisch-islamischen Welt im Privaten fest an die Familie klammern, gehen ihre Forderungen in öffentlichen Belangen, etwa bei den ökonomischen Frauenrechten, weit über die des „zivilisierten Nordens“ hinaus. Hier zieht sich die Bremsspur von den USA bis nach Europa. Wir wollen darüber reden, wie die Strukturanpassungsprogramme der Weltbank dazu beigetragen haben, daß die Frauen im Süden weiter verarmen, sagen etwa ägyptische Regierungs- und NGO-Delegierte selbstbewußt. Im sogenannten Aktionsprogramm, das in Peking diskutiert werden soll, stehen die Worte „Strukturanpassungsprogramm“ und „Schuldenstreichung“ meist in Klammern. Auf den Vorbereitungskonferenzen zu Peking konnten sich die Delegierten nicht auf die Formulierungen einigen. Es waren meist die Vertreter aus dem Norden, die die Dinge nicht beim Namen nennen wollten. Statt vom weltweiten Siegeszug der freien Marktwirtschaft, mit seinen katastrophalen Folgen für die Frauen im Süden, ist im Aktionsprogramm nur von einer „Globalisierung der Wirtschaft“ die Rede. Anstelle von Privatisierungsprogrammen, aufgrund derer Millionen von arbeitenden Frauen auf die Straße gesetzt werden, spricht das Dokument von „neuerlichen wirtschaftlichen Ereignissen“.

Es handelt sich dabei mitnichten um einen Streit über Worte oder Formulierungen. Strukturanpassungsprogramme und Privatisierung haben, nehmen wir das Beispiel Ägypten, verheerende Folgen für die Frauen. Mehr als doppelt so viele Frauen wie Männer sind derzeit am Nil arbeitslos – Tendenz mit zunehmender Privatisierung steigend. Es ist gerade der von IWF und Weltbank zum Tode verurteilte öffentliche Sektor, der sich in den letzten Jahrzehnten als der größte Arbeitgeber für Frauen erwiesen hat. Das alte ägyptische Arbeitsrecht mit weitgehenden Rechten für Frauen wird demnächst im Zuge der bevorstehenden Privatisierung durch ein Gesetz abgelöst, das alle Rechte dem Unternehmer einräumt. Immer mehr Frauen flüchten deswegen in den informellen Sektor. Die Frau, die an der Straßenecke in Kairo vor einer Kiste Tomaten sitzt, hat keinerlei Rechte. Ohne festes Einkommen, weder kranken- noch rentenversichert, muß sie jederzeit befürchten, daß ihre ärmliche Kiste Tomaten und ihre geliehene Waage bei der nächsten Polizeirazzia auf Nimmerwiedersehen konfisziert werden.

Der Staat zieht sich aus den Dienstleistungsbereichen immer mehr zurück. Die privaten Leistungen jedoch, etwa im Gesundheitswesen, sind für die meisten Frauen unbezahlbar. Die Kosten für Ausbildung und Schule treiben viele ägyptische Familien an den Rand des Ruins. Mädchen sind diejenigen, die als erste den Preis dafür bezahlen müssen. Wer nur Geld für die Ausbildung eines einzigen Kindes hat, schickt den Sohn zur Schule. Dessen Schwester dagegen muß so lange im Haus helfen, bis sie verheiratet wird. Tatsache ist, daß die Einschulungsrate von Mädchen in den letzten zehn Jahren in Ägypten stetig gesunken ist. Im Überlebenskampf gibt es weder Gleichheit noch Fairneß.

Die arabischen Frauen fürchten, ebenso wie ihre südlichen Kolleginnen, daß die Themen rund um die Nord-Süd-Problematik und die wirtschaftliche Abhängigkeit in Peking erneut unter den Tisch fallen werden. Bei der Weltbevölkerungskonferenz in Kairo 1994 kippten die Gruppen und Delegationen aus dem Norden diese Diskussionen komplett aus dem Programm. Die Medien stürzten sich wochenlang auf die Themen Abtreibung und Empfängnisverhütung, während von „Entwicklung“ (ein Wort, das ursprünglich sogar im Titel der Konferenz vorkam) kaum mehr die Rede war. Bei der Frage, was besprochen wird und was ausgeklammert bleibt, gibt es die merkwürdigsten Koalitionen. Nördliche Feministinnen und deren konservative islamistische Gegner, die schon seit Wochen die Konferenz in Peking verteufeln, sind sich einig: Gestritten wird über das Private. Die einen propagieren sexuelle Rechte und das Recht auf Abtreibung, die anderen verurteilen es. Die Auseinandersetzung um die Auswirkungen der Strukturanpassung oder Verschuldung – das sehen beide Gruppierungen nur als schmuckes Beiwerk zur Konferenz.

Jetzt kommt es darauf an, wer am lautesten schreit. In modernen Zeiten ist das nicht eine Frage der Stimmbänder, sondern der effektiven PR- und Lobbyarbeit. Da haben die Abtreibungsbefürworterinnen und Lebensschützerinnen aus dem Norden die Nase allen voraus. Deren PR-Vertreter kümmern sich professionell um die angereisten Journalisten, während ihre Lobbyisten auf den Gängen der Regierungsdelegationen darauf warten, ihren großen Coup zu landen. Da werden die Frauen aus dem Süden mit ihren leisen Forderungen nach einer gerechteren Weltwirtschaft und ernsthaften Entwicklungsprogrammen wohl wieder nicht gehört werden.

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