Der Neue Berliner Kunstverein wird 40: Das Denken teilen
Bürgerliches Engagement ist sein Weg, die Kunst aus der Krise zu führen. Der Neue Berliner Kunstverein feiert Streitkultur und sein 40-jähriges Bestehen.
Eine Revolution ist nicht in Sicht. Während der überhitzte Kunstmarkt als Komplize des maroden Finanzsystems mit ins Fegefeuer der Eitelkeiten geschickt wurde und der Ruf nach Katharsis ertönt, ist der Kunstbetrieb gelähmt. Es fehlt an kulturpolitisch relevanten Modellen, mit denen man die bittere Realität beschreiben oder gar verändern könnte.
Das mag auch daran liegen, dass sich die Kunstwelt in den letzten Jahren auf ein recht exklusives Verhältnis zur Öffentlichkeit zurückgezogen hat. Die durfte zwar als Zaungast an ökonomischen Höhenflügen und sensationsträchtigen Events teilhaben - wirklich existenzielle Erfahrungen bot junge Gegenwartskunst aber vor allem jenen Happy Few, die sie bezahlten, verkauften und prestigeträchtig ausstellten.
Selbst jetzt, wo nicht nur der Markt, sondern zunehmend auch Museen und Institutionen leiden, richten sich die Hoffnungen nach wie vor auf zahlungsfähige Privatsammler und Mäzene. Kaum jemand kommt auf die Idee, dass auch Menschen wie du und ich durch bürgerliches Engagement an einer Reform des Kunstbetriebs beteiligt sein könnten.
Genau hier setzt "Kunst und Öffentlichkeit - 40 Jahre Neuer Berliner Kunstverein" an, eine Ausstellung, die die Kunst buchstäblich auf die Barrikaden stellt und den Kunstverein als Ort demokratischer Streitkultur proklamiert.
Wer die Räume an der Chausseestraße in Berlin-Mitte betritt, steht tatsächlich erst einmal vor einer wüsten Konstruktion aus gigantischen Pappröhren, in die vierzig Bilder aus vierzig Jahren eingebaut wurden. Es wirkt, als sei man hier anlässlich des Jubiläums tatsächlich in den Kulturkampf gezogen und hätte die unterschiedlichsten Kunstwerke und Künstler wie Füllmaterial in dieses provisorische Bollwerk gestopft: Pop-Art von Lichtenstein und Hamilton, Warhols Lenin, Richters Mao, Bilder des Berliner Realismus, Abstraktionen von Imi Knoebel, junge Fotokunst, Holzschnitte aus den Zwanzigerjahren. Diese Bilder sind nur eine Auswahl aus der hauseigenen, 1970 gegründeten Artothek. Die ist die größte in Deutschland und umfasst insgesamt 4.000 Werke, die sämtlich gegen ein geringes Entgelt privat ausgeliehen werden können - und zwar von jedem. 11.000-mal wurde im letzten Jahr davon Gebrauch gemacht.
Dass NBK-Direktor Marius Babias und die Kuratorinnen Sophie Goltz und Kathrin Becker ihre Sammlung so rabiat als Baumaterial deklarieren, macht Sinn. Denn seit seinem Amtsantritt vor einem Jahr hat Babias klar gemacht, dass er den Kunstverein als moderne Bildungsanstalt betrachtet und für neue Methoden der Kunstvermittlung öffnen will - auch architektonisch. Die Ausstellungsräume wurden entkernt, die Künstlerin Silke Wagner schuf eine modulare Architektur für die Artothek im ersten Stock und die Videosammlung im Erdgeschoss, die jetzt wie ein regulärer Shop zu betreten ist.
Und wie bereits beim Umbau spielt auch bei der aktuellen Ausstellung die Architektur die Rolle eines interaktiven, ästhetischen Displays, das Denkbewegungen räumlich vermittelt und auslöst. Das Wiener Design-Duo Toledo und Dertschei hat also die wechselhafte Geschichte des NBK nicht retrospektiv aufbereitet, sondern geradezu modelliert. Mit dem Motiv der Kunst-Barrikade assoziiert man sowohl die Studentenbewegung als auch die bürgerliche Revolution von 1848, deren emanzipatorischen Bestrebungen die Gründung von Kunstvereinen entsprach. Auf schwebenden Papprollen, die als Mischung von Tisch, Archiv und Barriere von der Decke hängen, entfaltet sich in thematischen Kapiteln eine wahre Materialschlacht von Texten, Fotos, Skizzen, die den Werdegang des Vereins untrennbar mit den kulturellen Auseinandersetzungen am Kunststandort Berlin verknüpfen.
Der Fokus liegt auf der Genese des NBK im Spannungsfeld der Studentenrevolten von 1968, den hochkarätig besetzten "Aktionen der Avantgarde", mit denen der NBK 1973 progressives Kunstverständnis propagierte, den durch Häuserkampf befeuerten Diskussionen um Stadtentwicklung, an denen sich der NBK in zahlreichen Ausstellungen beteiligte, dem Skulpturenboulevard, der 1987 auf dem Kudamm mit Arbeiten von Olaf Metzel und Wolf Vostell großen Volkszorn erregte. Eingebettet wird das Material von Hörarchiven, Fernsehdokumentationen sowie studentischen Arbeiten, die in einem halbjährigen UDK-Seminar zur Schau entstanden.
Jedes Detail zu erfassen, würde Tage dauern. In dem Material-Overload der Schau offenbaren sich erstaunlich schonungslos überflüssige Ausstellungen, vergessene Künstler und Positionen, Rückschläge, verpasste Chancen, gescheiterte Utopien. Eine riesige, mit allen jemals produzierten Katalogen des NBK gepflasterte Wand zeigt, wie wenig homogen das Programm des Vereins war, der ebenso Platz für eine William-Turner-Schau, Yves Klein oder Kunst zu Hiroschima bot wie auch für Absolventenausstellungen, osteuropäische Malerei und Fluxus-Multiples.
Es gehe ihm um eine neue Legitimation seiner Institution, sagt Marius Babias. In diesem Sinne hinterfragt "Kunst und Öffentlichkeit" nicht nur deren Geschichte, sondern auch die Art und Weise, wie sie vermittelt werden soll. Ganz bewusst legt es die konzeptionelle Verschmelzung von Dokumentation, Kunst und Ausstellungsarchitektur darauf an, den Besucher aus der Defensive zu locken. Wer an die hängenden Röhrenmodule dieses Konglomerats stößt, wird feststellen, dass sie sofort mitschwingen, dass hier alles lediglich einer provisorischen Ordnung folgt. Und die könnte morgen bereits eine andere sein. Dass diese zukünftige Ordnung auch von der öffentlichen Teilhabe am Kunstbetrieb mitbestimmt werden kann, macht die Ausstellung unmissverständlich klar. Wer die Signale hört, sollte 45 Euro im Jahr investieren und beitreten.
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