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Der Neger von Banyoles

Heute geht die Odyssee eines ausgestopften Buschmannes aus der Kalahariwüste zu Ende

Aufrecht und mit stolzem, wenn auch glasigem Blick empfing er 81 Jahre lang die Besucher im naturkundlichen Museum im nordspanischen Banyoles. Jetzt hat er ausgedient. Heute wird der 197 Jahre alte Buschmann in seiner Heimat Botswana beigesetzt. Vor 170 Jahren, im Alter von 27, war der Mann aus der Kalahariwüste in der damaligen englischen Kap-Kolonie nach Europa gekommen. Keineswegs freiwillig. Die Franzosen Éduard und Jules Berreaux hatten den an einer Lungenkrankheit Verstorbenen aus seinem Grab entwendet und nach Paris verschleppt. Dort machten sie sich an die Arbeit, als handle es sich um ein seltenes Tier. Eingeweide und Knochen wurden entfernt, die Hülle dessen, was einst ein menschlicher Körper war, wurde einbalsamiert und ausgestopft. Die Augenhöhlen wurden mit Glasaugen gefüllt, das Rückgrat durch eine Eisenstange ersetzt, die Haut mit Bitumen eingerieben. Mit einem Speer, Lendenschurz und Schmuck versehen wurde der Buschkrieger dem staunenden Publikum vorgestellt.

1888 dann kam der größte Auftritt des Afrikaners. Er wurde zur Weltausstellung ins spanische Barcelona gebracht. Ein paar Jahre später erstand ihn dann der französische Naturwissenschaftler und Sammler besonderer archäologischer Stücke, Francesc Darder i Llimona. Aus Dank für schöne Urlaubswochen, die er Jahr für Jahr im nordspanischen Banyoles verbrachte, stiftete Darder 1916 der Gemeinde seine Privatsammlung.

Der Grundstein für das naturkundliche Museum war gelegt. Das wichtigste Stück lag nun in einer Glasvitrine im Saal Nummer 6, dem über die Geschichte der Menschheit. Jahr für Jahr pilgerten zehntausende von Touristen in das Dorf am Fuß der Pyrenäen, um den Buschmann zu sehen. Noch heute wäre der „Neger von Banyoles“ der unumstrittene Publikumsliebling, wären ihm nicht die Olympischen Spiele 1992 in Barcelona dazwischengekommen. Mehrere afrikanische Staaten drohten mit dem Boykott, sollte der Buschmann nicht aus der Ausstellung verschwinden. Selbst die Unesco und die UNO berieten über den Fall. Vergangene Woche trat der „Neger von Banyoles“ seine letzte Reise an. Im Lieferwagen wurde er nach Madrid geschafft. Im dortigen archäologischen Museum wurden das Füllmaterial entfernt und die wenigen menschlichen Überreste in einen Sarg verpackt. Der spanische Botschafter in Namibia überführte die sterbliche Hülle des Buschmannes nach Gaborone, der Hauptstadt Botswanas. Dort wird der heimgekehrte Krieger heute ein Heldenbegräbnis in einem öffentlichen Park bekommen.

REINER WANDLER

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