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■ Der Marsch für gleiche Rechte ist nicht genug50.000 Lesben und Schwule werden heute zum internationalen Christopher Street Day in Berlin erwartet. Der lesbisch-schwule Feiertag ist auch Anlaß, um über den Kurs der Bewegungen...

Der Marsch für gleiche Rechte ist nicht genug

Als eine Handvoll von Polizisten in der Nacht zum 28. Juni 1969 die Stonewall Inn in der New Yorker Christopher Street betraten, um die Alkohollizenz zu kontrollieren, konnten sie nicht ahnen, daß sie eine Revolte auslösen würden. Da keine Schankgenehmigung vorlag, schlossen sie die Bar und verhafteten 50 Schwule, 4 Lesben, eine Transsexuelle und einen Hund unbekannten Geschlechts wegen „ungebührlichen Benehmens“. Als sich eine der Lesben heftig dagegen wehrte, abgeführt zu werden, wurde die Stimmung explosiv. Die Menge derer, die nicht verhaftet worden waren und vor der Bar auf Freunde warteten, warfen Bierflaschen und Steine auf die Polizisten.

Die Straßenschlachten, die sich Schwule und Lesben in dieser und den beiden folgenden Nächten mit der Polizei lieferten, gelten heute als der Beginn der neuen Lesben- und Schwulenbewegungen. Und das ein wenig zu unrecht, denn schon lange „vor Stonewall“ hatten sich in den USA an die 50 Lesben- und Schwulenorganisationen gegründet, die nicht nur Treffen organisierten, sondern auch Zeitschriften herausgaben. Doch Stonewall wurde zum Mythos.

In den 24 Jahren „nach Stonewall“ ist vieles erkämpft worden. Um nur ein Beispiel zu nennen: Die New York Times, für die das Wort „homosexuell“ erst im Herbst 1969 druckreif wurde, berichtete am 29. Juni über eine Randale von 400 Jugendlichen. Heute gibt es selbst in dem konservativen Flaggschiff der US-Presse eine ganze Reihe offen schwuler und lesbischer RedakteurInnen, auch in Leitungsfunktionen. Auch der Berichterstattung über Lesben und Schwule wird immer mehr Raum gegeben. Ereignisse wie der Marsch auf Washington, an dem sich Ende April eine Million Lesben und Schwule beteiligten, um für gleiche Rechte zu kämpfen, lassen sich aber auch nur schwerlich übergehen.

Die magische Zahl einer Million wird zwar beim europaweiten Christopher Street Day, der in diesem Jahr in Berlin stattfindet, nicht erreicht werden, die VeranstalterInnen rechnen aber mit rund 50.000 TeilnehmerInnen. In Berlin angekommen, werden die ausländischen Gäste allerdings etwas irritiert zur Kenntnis nehmen, daß es gleich zwei Demonstrationen und auch zwei Kulturfestivals gibt.

Die Doppel-Demo ist das Ergebnis eines monatelangen lokalen Streites um unterschiedliche politische Vorstellungen. Kritik daran, daß der Berliner Christopher Street Day zu unpolitisch geworden sei, hatte es in den vergangenen Jahren oft gegeben. Nur raffte sich niemand auf, daran etwas zu ändern. Das sollte diesmal anders werden. Die Auseinandersetzungen rissen die Szene aus ihrer Lethargie und führten zu einer geradezu erstaunlichen Mobilisierung.

Die Auseinandersetzung zwischen dem langjährigen Organsiationskomitee CSD e.V. und den KritikerInnen verlief entlang zweier Grundlinien, die auch für die Bewegung insgesamt kennzeichnend sind. Der Berliner Christopher Street Day stand in den vergangenen Jahren vor allem im Zeichen einer Gleichstellungspolitik, die auf den Abbau von Diskriminierung abzielt. Die KritikerInnen klagten dagegen schon im Herbst ein, daß angesichts der politischen Entwicklung in Deutschland ganz klar Stellung bezogen werden müsse gegen Rassismus, Antisemitismus und Sexismus.

Daß man sich trotz einer gewissen Annäherung nicht einigen konnte und es zur Spaltung der Organsiationsgruppe kam, hatte letztlich auch mit persönlichen Querelen und gruppendynamischen Prozessen zu tun. Es entbehrt daher nicht einer gewissen Ironie, daß die Debatten dazu geführt haben, daß sich Motto und politische Erklärungen beider Gruppen mittlerweile kaum noch voneinander unterscheiden. Der CSD e.V. veranstaltet auf dem Ku'damm einen „Marsch für gleiche Rechte“ unter dem Motto „Vielfalt und Schwesterlichkeit – Solidarität über alle Grenzen hinweg“. Das Aktionsbündnis zieht unter dem Motto „Grenzenlos gegen Ausgrenzung“ durch den Ostteil der Stadt.

In der Auseinandersetzung wurde aber auch eine zweite Konfliktlinie deutlich. In den letzten Jahren haben die Schlips-und-Kragen-Lobbyisten die öffentliche Debatte um Lesben- und Schwulenrechte bestimmt. Sie verfügen über das Know-how, Presseerklärungen durchs Fax zu jagen und Pressekonferenzen abzuhalten. Ihre Gleichstellungspolitik ist salonfähig und sie haben beachtliche Erfolge erzielt. Die Debatte um die Homo-Ehe hat dazu geführt, daß weite Teile der Gesellschaft anerkannt haben, daß die rechtliche Lage von lesbischen und schwulen Lebensgemeinschaften verbessert werden muß. Und die Verfassungskommission hat am 17. Juni mit knapper Mehrheit eine Erweiterung des Gleichbehandlungsartikels beschlossen: „Niemand darf aufgrund seiner sexuellen Identität benachteiligt werden.“ Da aber nur Beschlüsse, die mit Zwei-Drittel-Mehrheit gefaßt werden, dem Bundestag zur Abstimmung vorgelegt werden, fordert der Schwulenverband in Deutschland (SVD) die SPD auf, dort eine Abstimmung zu beantragen.

Trotz dieses Erfolgskurses kann sich ein Teil der Schwulen und ein noch größerer der Lesben nicht mit einer Politik identifizieren, die geradewegs in die Assimilation führt. Wer nur die Gleichstellung vor Augen hat, will nicht mehr als ein gleich großes Stück vom Kuchen. Aber hieß es nicht einmal „Wir wollen nicht nur ein Stück vom Kuchen, wir wollen die ganze, verdammte Bäckerei“?

Der Trend, daß sich Lesben jetzt stärker mit den Schwulen gemeinsam organisieren, bietet zwar die Chance, durch eine Bündelung der Kräfte an Stärke zu gewinnen. Zugleich birgt es das Risiko, sich auf eine Gleichstellungspolitik zu beschränken. Die Lesbenbewegung hat aufgrund ihres Ursprungs in der Frauenbewegung schon immer weiterreichende Ziele verfolgt. Es gilt, das Herrschaftsverhältnis von Männern über Frauen zu beenden, sich Freiräume zu schaffen für ein selbstbestimmtes Leben. Die Suche nach einem anderen Lebensentwurf hat allerdings auch dazu geführt, daß Lesben sich wenig in institutionelle Politik eingemischt haben. Und dort, wo sie es getan haben, blieben sie oft unsichtbar. Die Abneigung, sich in einer Form zu organisieren, die an männlichen Politikmustern orientiert ist, hat dazu geführt, daß die Lesbenbewegung in der Öffentlichkeit kaum eine Stimme hat.

Die Debatte über Rassismus, die in den letzten Jahren geführt wurde, hat das Bewußtsein für Ausgrenzungsmechanismen gegenüber afro-deutschen, jüdischen und türkischen Lesben in den eigenen Reihen geschärft. Daß es während des Lesbenfrühlingstreffens am Pfingstsonntag in Freiburg eine spontane Demonstration gegen die Morde an türkischen ImmigrantInnen in Solingen gab, war ein Signal, daß Diskussionen allein nicht mehr genügen.

Es sei höchste Zeit, sich zu überlegen, wie die Lesbenbewegung an Handlungsfähigkeit gewinnt, heißt es in der Szene. Einen Anfang will der Lesbenring mit der Einrichtung eines „bundesweiten Lesbenbüros als Vernetzungsstelle lesbisch-feministischer Aktivitäten“ machen. Lesben könnten es sich in diesen Zeiten nicht leisten, sich in selbst geschaffenen Nischen einzurichten. Mehr denn je müssen sie sich einmischen, in allen Politikfeldern.

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