Der Kurs aus der Kiste

Das Hamburger ILS-Institut für Fernlernkurse ist eine Erfolgsgeschichte. In zehn Jahren hat sich die Teilnehmerzahl auf 75.000 verdoppelt, im Herbst musste ein Neubau her. Das Institut wendet sich an Berufstätige, die sich neu orientieren wollen

VON KAIJA KUTTER

Am Rahlstedter Bahnhof in Hamburgs Osten überragt seit diesem Herbst ein eleganter grauer Glaskasten die beschauliche Vorstadtkulisse. An der Fassade leuchten in blau und orange die Buchstaben „ILS“, die man von der Rückseite seiner Fernsehillustrierten kennt. In kleiner Schrift werden dort 250 Fernlehrgänge angeboten. Von A wie Abitur über I wie Immobilienfachwirt bis Z wie Zeichner kann man dort fast alles werden.

„Wir sind der größte Anbieter im Fernschulbereich“, sagt Geschäftsführer Ingo Karsten stolz. Seit der Klett-Verlag das „Institut für Lernsysteme“ 1998 von Bertelsmann übernahm sei die Zahl der Kursteilnehmer von 35.000 auf 70.000 gestiegen. Das alte Gebäude wurde zu klein. „Wir platzen aus allen Nähten“, sagt Karsten. Nun stehen 11.000 Quadratmeter zur Verfügung, Platz für Verwaltung, Studienberatung, die fünf Lehrinstitute, ein Hotel – und eine hoch moderne Druckerei, in der die Studienunterlagen ausgedruckt werden. In einer kleinen Packstraße im Erdgeschoss werden sie zusammengestellt und mit einer Willkommens-Entspannungs-CD in einen großen weißen Pappkarton gepackt.

Das Studium am ILS beginnt also mit einer Kiste, die ins Haus kommt. Das Pensum ist aufgeteilt in weiße Heftchen, die jeweils mit Einsende-Aufgaben enden. Nach spätestens zehn Tagen schicken die rund 750 freiberuflichen Tutoren sie bewertet zurück. „Die Unterlagen sind realistisch und vom Aufbau her sehr gut“, sagt Christine Hinrichsen, die einen einjährigen Lehrgang zur „Psychologischen Beraterin / Personal Coach“ absolviert hat. Mit „realistisch“ meint sie die Zeitvorgaben: Das kennt sie von einer staatlichen Fernhochschule auch anders.

Die Mutter von zwei Schulkindern schaffte es, sich neben ihrem Job in einer Firma für Hochleistungsdrucker ein neues berufliches Standbein aufzubauen. „Eine Präsenz-Weiterbildung wäre für mich schon zeitlich nicht zu schaffen gewesen“, sagt die 44-Jährige, die sich inzwischen als Beraterin für Firmenfusionen selbständig gemacht hat. Dass sie die Fähigkeiten dazu besitzt, habe sie schon im alten Job bemerkt, sagt sie. Der Lehrgang beim ILS habe ihr zum nötigen Faktenwissen verholfen.

Auch Alexandra Lange, die derzeit einen 18-monatigen Lehrgang zur Speditionssachbearbeiterin absolviert, kam mit Hilfe des ILS-Studiums ihren beruflichen Zielen näher: „Ich hatte bei einem Insolvenzverwalter gearbeitet und immer schon den Wunsch, in einer Spedition anzufangen“, sagt die 32-Jährige. Mit Verweis auf den Lehrgang habe sie nun in einem Logistikbetrieb eine Stelle gefunden.

„Die Menschen erkennen, dass Bildung nicht kostenlos ist und sie sich stetig weiterqualifizieren müssen“, erklärt Ingo Karten die rege Nachfrage, die während der Finanzkrise im Oktober mit 3.500 Anfragen in Rekordhöhe schnellte. Ein Lehrgang kostet im Durchschnitt 115 Euro im Monat, für etwa 50 Kurse gibt es eine Förderung der Arbeitsagentur. Wer schon eine Ausbildung hat, kann auch Meister-Bafög beantragen.

Die Teilnehmer haben wechselnde Tutoren, die sie fachlich betreuen, und persönliche Studienberater. Hinzu kommt eine telefonische Beratung, die keine Telefongebühren kostet, was für Menschen aus anderen Bundesländern wichtig ist. Für den Erfolg seines Instituts nennt Karsten Zahlen: 78 bis 80 Prozent der Teilnehmer beendeten ihre Lehrgänge. Wenn am Ende eine Kammerprüfung stehe, bestünden 90 Prozent der angemeldeten Teilnehmer diese auch.

Anders als bei anderen Weiterbildungsangeboten bürgt beim Fernunterricht aber auch der Staat mit für die Qualität. Bis in die 1970er Jahre hinein war es üblich, dass Vertreter von Haustür zu Haustür gingen, um Menschen für die Lehrgänge zu werben. Dies gipfelte in der Schlagzeile „Metzger zum Abitur gezwungen“. 1977 erließ der Bund das Fernunterrichtsgesetz und richtete in Köln die bundesweit agierende „Zentralstelle für Fernunterricht“ (ZFU) ein. Diese achtet darauf, dass bei der Werbung und bei den Verträgen bestimmte Mindeststandards eingehalten werden wie Widerrufsrecht und Kündigungsmöglichkeit.

„Jeder neue Kurs muss von uns genehmigt werden“, sagt der stellvertretende ZFU-Chef Ludwig Pelzer. „Wir setzten dann Gutachter daran, die prüfen, ob das Material geeignet ist, die Teilnehmer auf den Kursus vorzubereiten.“ Zudem werde alle drei Jahre überprüft, ob Lehrmaterial noch aktuell sei.

Am Hamburger ILS sind mit dieser Aufgabe rund 350 freie Autoren betraut, die meist andere Berufe wie beispielsweise Lektor haben. Dies sei wichtig, um einen Praxisbezug herzustellen, sagt Karsten. Inhaltlich ist das ILS in die sechs Lehrinstitute für Schulabschlüsse, Wirtschaft, Technik, Werbung und Kreativität, Persönlichkeitsbildung und Gesundheit unterteilt, deren Leitungen die Erstellung der Lehrmaterialien koordinieren.

„Für die Verbraucher ist bei der Weiterbildung der Fernunterricht der Bereich, der am ehesten die Gewähr für vernünftiges Lernmaterial bietet“, sagt ZFU-Chef Pelzer. Die Abbrecherquote sei bei Fernlehrgängen „mit Sicherheit nicht höher“ als bei anderen Bildungsanbietern. Einzig die Preisgestaltung entzieht sich staatlicher Kontrolle. Pelzer: „Da müssen sie nehmen, was der Markt hergibt.“

Christina Hinrichsen hat 1.935 Euro für ihren 15-monatigen Kurs bezahlt und fand dies „noch erträglich“. Nach Ablauf der eingeplanten Zeit können Teilnehmer noch einmal kostenlos ein halbes Jahr verlängern. „Es ist schon viel Geld“, sagt Alexandra Lange, die 120 Euro pro Monat für ihren Kurs bezahlt. Die Kosten seien für sie aber auch eine „Motivation, es bis zu Ende durchzuziehen“.