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Der Kunstrechner von Niamey

■ Zahlenspielereien auf dem Markt von Nigers Hauptstadt

Gelernt, den Marktplatz von Nigers Hauptstadt zu überqueren. In den Tagen hier konnte man sich eine passende Umgangsform aneignen gegenüber den ständigen Aufforderungen, etwas zu geben, zu kaufen oder sonstwie zu reagieren.

Man rechnet uns das an, und wir kommen beinahe aus eigenem Willen voran, ohne mehr als notwendig gedrängt, gezogen oder beiseite geleitet zu werden in einen der Händlerverschläge, worin Freuden zeitvergessenen Handelns lauern.

Taptap auf meiner Schulter. Zahlen werden auf französisch gemurmelt, sie klingen, als hätten sie eine weite Reise hinter sich. Da steht ein hochaufgeschossener Junge, keine 20 Jahre alt, in üblicher Weise gekleidet: Hose, Hemd, Gummischlappen, alles unfarben im vorletzten Stadium endgültiger Zerschlissenheit.

Es gelingt ihm nicht leicht, seine Dienste klarzumachen, die er uns als Lebende Rechenmaschine anträgt. Beharrlich stellt er sich vor in einer kleinen Ansprache, die mit weiteren Zahlen durchsetzt ist. Dazu präsentiert er die entblößten Gebeine eines Taschenrechners, womit wir ihm die Aufgaben stellen und gleichzeitig überprüfen sollen. Nun gut, beschließen wir leicht verwirrt und versuchen etwas Leichtes (aber doch schwer genug, um ihn nicht zu beschämen): „328 mal 431“.

Unvermittelt verwandelt sich der Junge in einen mechanischen Apparat aus imaginären Zahnrädern, Schubstangen und Hebeln. Seine Ellbogen beschreiben Zehnerpotenzen, mit gegabelten Fingern sortiert er Zahlenkolonnen zu Paketen. Irgend etwas scheint in ihm zu rattern.

Sein Blick – klar, der Kerl liest alles vom Himmel ab!

„141.368.“ Richtig. Keine 20 Sekunden sind vergangen.

Ob wir nicht etwas Schwierigeres probieren wollen? Eine Kubikwurzel vielleicht? Flüsternd gestehen wir uns ein, daß wir, hm, mit diesem speziellen Taschenrechner nicht so recht umgehen können, also entwerfen wir eine gewagte Division, die weit jenseits unserer Vorstellungskraft liegt: 367.395 durch 7.843. Das Räderwerk setzt sich wieder in Betrieb. Die Gabel schiebt Pakete. Wie ein Entfesselungskünstler versucht unser Mann, die Zahlen hinter dem Rücken zu entknoten. Er schraubt mit dem Knie, vibriert mit den Lippen – bing!

„46,83!“

„...falsch. Es ist...“

„Non, non!“ wehrt er ab. Schon rattert das Zählwerk weiter, Zahlen springen über Kolonnen, Dezimalen klickern durch ein Nagelbrett, kleine numerierte Autobusse reihen sich in der Remise ein.

„46,84...3!“

Bravo! Diese Leistung wird ordentlich honoriert, er soll sehen, daß wir Geisteskraft zu schätzen vermögen.

Da wandelt unser Wunderknabe, leicht enttäuscht, daß wir ihn so gering gefordert ziehen lassen. Keine Wurzel? Zahlen umschwirren ihn wie Mücken. Welche Talente bleiben hier gebunden! Dieser ungeheure Kontinent, was mag er an Genie verborgen halten. Dort ein Philosoph, drüben ein Redner, hinten ein Malerfürst, und dort in diesem Toyota-Wrack kommt gerade der große Herausforderer der Formel 1 ums Eck gedonnert. David Staretz

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