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■ ErklärungDer Kongreß der Volksdeputierten

Schande werde der anstehende Volksdeputiertenkongreß der Nation bereiten, meinte der Sprecher des Hohen Hauses. Denn der Kongreß ist Chasbulatows Hausmacht, die er virtuos in seinem Interesse zu dirigieren und instrumentalisieren weiß. Dabei liegt Chasbulatow viel daran, um dieses dysfunktional gewordene Gremium noch am Leben zu halten. Der Volksdeputiertenkongreß ist das höchste gesetzgebende Organ der Russischen Föderation. 1988 wurde er im Rahmen der Diskussion um eine Verfassungserneuerung geschaffen. Stichwort damals: Entwicklung des „sozialistischen Parlamentarismus“. Eine Gegenmacht zur Partei sollte geschaffen werden. Gorbatschow sah in ihm ein bedeutendes Instrument, um seine Macht zu erweitern. Zumal die Wahlen zum Kongreß die ersten freien waren, die die Bezeichnung überhaupt verdienten. Dennoch sorgte die Partei dafür, daß vornehmlich ihre Kandidaten auf die Listen gelangten. Mit dieser Altlast von rund 800 Altfunktionären hat Jelzin heute zu kämpfen. Insgesamt gehören dem Kongreß 1.048 Parlamentarier an. In der Regel traf sich der Kongreß zweimal jährlich. Die eigentliche parlamentarische Arbeit wurde jedoch dem Obersten Sowjet zugewiesen, dem „arbeitenden Parlament“. Seine Deputierten wurden aus den Reihen des Volksdeputiertenkongresses gewählt. Aus dieser Doppelstruktur entstanden seit jeher Kompetenzprobleme. Die neue russische Verfassung, die im kommenden Frühjahr vorgelegt werden soll, wird den Volksdeputiertenkongreß abschaffen. Die Parlamentarier wollen jedoch bis zum Ende der Legislaturperiode die Bänke drücken. Ist es doch für sie mit einer ganzen Reihe Privilegien verbunden. Nur über ein Referendum ließe sich der Kongreß vorzeitig auflösen. Die Parlamentarier stehen nicht sonderlich im Ansehen der Bevölkerung.

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