: Der Hohn als geistige Kriegsführung
Dichter beleidigen Dichter ■ von Norbert Ney
Kollegenschelte war und ist in allen Künstlerfraktionen ein exzessiv geübter Leistungssport. Sachlich-konstruktive Kritik offen beiseite lassend, jede diplomatisch- fade Doppelzüngigkeit verachtend, geht es hier auf offenem (was natürlich heißt: öffentlichem) Felde beinhart zur Sache. Nix Streitkultur, nix Empathie — wer (wieder mal) für den Geschmack des Kritikasters Schmonzes, Kitsch, Schmalz oder höheren Schwachsinn auf den Hirnen der Leser ausgegossen hatte, gerät ins Sperrfeuer der „lieben Kollegen“, die — jeder ein Einzelkämpfer — mal Täter, mal Opfer sind, denn natürlich schlägt jede(r) zurück, wo sich die nächste gute Gelegenheit bietet. Solidarische Kritik? Bei Großautoren vergeblich zu suchen. Was der Laie als kollegiale Wahlverwandtschaft vermuten mag, wird hier ein für allemal als „Qualverwandtschaft“ weggewischt, wie es Ludwig Tieck einst entfuhr. Wer sich den eben erschienenen Band mit Truffauts Briefen unvorgewarnt antut (beim vgs Verlag, Köln, erschienen), wird möglicherweise angeekelt zurückprallen, abgestoßen von dem rabiat-deftigen, teilweise als Vernichtungsfeldzug geführten Briefwechsel zwischen Godard und Truffaut. Aber: Der Hohn war immer schon eine nur zu berechtigte Form geistiger Kriegsführung, legalisierte schon Theodor Fontane ganz vornehm jegliche Bösartigkeiten der Attacken.
Dichter beschimpfen Dichter heißt der von Jörg Drews & Co. im Haffmanns Verlag (Zürich) zur Buchmesse 1990 erschienene Band mit dem Untertitel Ein Alphabet harter Urteile. Das aber ist eine zwar gutwillige, aber unnötige Untertreibung, denn schon beim Einlesen wird klar: Hier handelt es sich um 125 Seiten Sprengstoff aus der literarischen Geschichte, aber auch aus unseren Tagen. Und keine(r) blieb verschont, von Andersch bis Zwerenz, von Bachmann bis Zola, von Benn und Beckett bis Tieck, Tolstoi oder Tucholsky — und, selbstredend die allzu „aufgeblasenen, geckenhaften, eigennützigen, kalten, unmoralisch-egoistischen, sultanhaften, brutal-falschen, verlogenen, steif-erbärmlichen, leer-schlaffen Schamanen, Schüdderumpe, Spießer, Armseligen, Dünkels, Narren mit Geheimratsbehaglichkeit, Wattierer der Worte, Schlapphut-Gottheit, Eunuchen-Heroen, Schwindler, Gravitätsstümper, Feudalisten, Pantokratoren, Kunstbrühenmacher, abgeschmackte Langeweiler, Pathoshändler, denkfaule Seichtlinge, tobend-besoffene Reflexionäre, schale Grobiane, schändliche Katzbalger, höfische Kriecher“ und so weiter bleiben eben nicht verschont (erraten: gemeint waren die „großen Klassiker“ Goethe und Schiller).
Eine herzerfrischend tiefschlagsfreudige Schlachtfestschrift, fürwahr ein unerbittlich-lehrreicher „Beleidigungsbegleiter“ nicht nur für jede Form von Bucharbeiter, sondern gerade auch für Leser und -innen! Dem Verlag muß zustimmen, wer den kleinen Band geschluckt hat: „Ein vergleichbar widerwärtiges, hämisches, bösartiges, vor Heimtücke, Niedertracht und Eitelkeit geradezu platzendes Pack wie die führenden Dichter und Denker der Welt wird man in allen Ständen und Sparten des Erdenrunds vergeblich suchen.“
Jörg Drews u.a.: Dichter beschimpfen Dichter. Haffmanns Verlag, 128 Seiten, geb., 15 DM
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen