■ Gemeindevorstand läßt sich auf Altargemälde verewigen: Der Heilige Bürgermeister
Mitten in der Eröffnungsandacht schreckte Francisco Martin auf. Zuerst wollte er seinen Augen nicht trauen. Doch es gab keinen Zweifel: Was da direkt hinter Bischof Felipe Fernández den Hauptaltar der soeben eingeweihten Kirche Los Gigantes in Santiago del Teide auf Teneriffa schmückte, war kein geringerer als Bürgermeister Pancracio Socas, dem der Sozialist Martin seit Jahren im Rathaus Opposition macht.
Als Insel-Bischof Fernández die Messe beendete, trat Martin näher – und kam aus dem Staunen nicht mehr heraus, als er unter der sechsköpfigen Gruppe, die den Altar ziert, noch mehr bekannte Gesichter entdeckte: Socas Ehefrau, der Dorfpriester und die Autorin des noch frischen Ölgemäldes. Alle im biblischen Gewand, mit verklärtem Blick und Feuerzungen über dem Haupt, Zeichen pfingstlicher Erleuchtung durch den Heiligen Geist. „Das mit dem Pfarrer mag ja gerade noch angehen, aber daß der Bürgermeister als geistiges Vorbild erscheint, das geht zu weit“, protestiert Gemeinderat Martin und fordert eine umgehende Erklärung seitens seines Gegners von der konservativ-nationalistischen Partei Coalición Canarias.
Doch Bürgermeister Pancracio Socas denkt gar nicht daran. Wer Glück hat und die Telefonzentrale des Rathauses nicht gänzlich unbesetzt vorfindet, der bekommt auf die Frage nach dem Ortsvorsteher nur die Antwort: „Nicht im Hause – versuchen Sie es morgen wieder.“ Den Namen der Künstlerin kennt niemand, und von zufälligen Ähnlichkeiten von Kirchenheiligen mit tatsächlichen Personen hört man zum ersten Mal.
Was Francisco Martin nicht bedacht hat: Gottes gütige Hand ruht schützend über dem bedrängten Dorfheiligen und gewährt Pancracio selbst in allergrößter Not höchstgeistlichen Beistand. Bischof Felipe Fernández persönlich stellt sich den Attacken des Oppositionsführers Martin entgegen. Die Abbildung bekannter Persönlichkeiten sei „ein malerisches Stilmittel, das die ganze Kunstgeschichte hindurch immer wieder angewandt wurde“.
Der Bischof selbst habe die Künstlerin dazu angeregt, „um die Nähe und die Identifikation der Gläubigen mit dem Kunstwerk zu stärken“, heißt es in einer vom Bischofssitz verbreiteten Presseerklärung, „ohne daß dadurch die abgebildeten Personen als besonders tugendhaft oder gläubig herausgestellt werden sollen“.
Ob die Gerüchte stimmen, wonach sich Bischof Felipe Fernández bei der nächsten Restaurierung der bischöflichen Kathedrale in Santa Cruz ebenfalls selbst verewigen lassen möchte, konnte bis Redaktionsschluß nicht in Erfahrung gebracht werden. Reiner Wandler
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