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„Der Graf von Monte Christo“ im KinoSchmerz und Selbstgerechtigkeit

In Frankreich ist die Neuverfilmung von Alexandre Dumas’ „Der Graf von Monte Christo“ ein Riesenerfolg. Pierre Niney gibt darin einen geplagten Rächer.

… und Schuss! Der Graf von Monte Christo (Pierre Niney) beim Duell Foto: Capelight

Rache ist ein Gericht, das man am besten kalt serviert. Mit sorgfältiger Planung, verlässlichen Komplizen und einem angemessenen Budget lässt sie sich auch umsetzen, jedenfalls in der Literatur. Und welche fiktive Figur stünde besser für Vergeltung als Edmond Dantès, der Held von Alexandre Dumas’ 2.000-seitigem Abenteuerroman „Der Graf von Monte Christo“?

Der junge Seemann, der von drei Männern verraten wird, dann etliche Jahre in Festungshaft verbringt und es anschließend als geheimnisvoller Adeliger seinen Peinigern heimzahlt, gilt als Racheengel per se. Er befriedigt das Gerechtigkeitsgefühl von Leserinnen und Lesern sowie dem Publikum vor Leinwand und TV-Bildschirm, denn die Verfilmungen des Stoffes sind kaum noch zu zählen.

Doch was ist, wenn das Streben nach Gerechtigkeit in Selbstgerechtigkeit umschlägt und der Held bei seinem Rachefeldzug keine Befriedigung verspürt?

Der Film

„Der Graf von Monte Christo“. Regie: Matthieu Delaporte und Alexandre de La Patellière. Mit Pierre Niney, Bastien Bouillon u. a. Frankreich 2024, 178 Min.

Matthieu Delaportes und Alexandre de La Patellières neue, dreistündige Verfilmung der Dumas’schen Vorlage, die in Frankreich sagenhafte neun Millionen Zuschauer in die Kinos gelockt hat, widmet sich nicht zuletzt solch moralischen Fragen und stellt ihren Protagonisten in ein nicht immer glanzvolles Licht. Dabei lassen die Macher Nebenfiguren an das Gewissen des Helden appellieren, doch dieser erweist sich bei der Durchführung seiner Revanche zu lange als beratungsresistent.

Rettung einer jungen Frau

Zunächst ist Edmond Dantès im Jahre 1815 jedoch nur ein tüchtiger 22-jähriger Matrose, Erster Offizier auf dem Schiff „Pharao“. Gleich zu Anfang des Films, als ein anderes Schiff in Seenot gerät, rettet er nach einem beherzten Sprung ins Wasser eine junge Frau vor dem Ertrinken. Doch sie führt einen Brief des auf Elba in der Verbannung lebenden Kaisers Napoleon Bonaparte mit sich. Kapitän Danglars wird Edmond die Epistel unterjubeln und ihn als Agenten des „Usurpators“ dastehen lassen, nachdem der Reeder des Schiffes Dantès in Marseille zum neuen Kapitän ernannt hat.

Edmonds adeliger Freund Ferdinand de Montcerf denunziert ihn ebenfalls wider besseres Wissen als Bonapartisten – aus Eifersucht auf dessen Verlobte Mercédès. Kurz bevor Edmond ihr das Jawort geben kann, wird er in der Kirche verhaftet. Dem ehrgeizigen Staatsanwalt Villefort kommt Dantès als Bauernopfer sehr gelegen, weil die Trägerin des Briefes seine Schwester ist und er als Unterstützer des neuen Regimes nicht in Verruf geraten will.

So werden die Bösewichter im ersten Drittel des Films zur Schau gestellt – Moncerf (Bastien Bouillon) zunächst mit sich ringend, Danglars (Patrick Mille) als habgieriger Schurke und Villefort (Laurent Laffitte) als skrupelloser Machtmensch.

Schatz auf einer Mittelmeerinsel

Der naive junge Held dagegen wird die nächsten 14 Jahre seines Lebens in dem berüchtigten Inselgefängnis Château d’If verbringen – abgemagert und mit zotteligem Haar und Bart. Dort erfährt er von seinem Mitgefangenen, dem Gelehrten Abbé Faria, von einem wertvollen Schatz auf der Mittelmeerinsel Montecristo.

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Der Film macht daraus ein Vermächtnis der Tempelritter und modifiziert auch einige Figuren und Nebenintrigen. Doch der Plot als Ganzes bleibt erhalten, die Veränderungen sind stimmig und ordnen für heutige Zuschauer so manches historisch ein. So etwa, dass die drei Verräter von Dantès sich während seiner Haft in einer postbonapartistischen Zeit bereichert haben (Danglars mit Sklavenschiffen), in der in Frankreich eine Art Goldrausch herrschte. So erkennen die drei Übeltäter, die kein schlechtes Gewissen plagt, ihr Opfer auch nicht wieder, als Dantès 20 Jahre später als weltgewandter Graf von Monte Christo vor ihnen steht.

Dieser erste offizielle Auftritt des Grafen ist in der Filmhistorie in seiner Strahlkraft nur mit der ikonischen Selbstvorstellung „The name is Bond, James Bond“ zu vergleichen. Danglars, Moncerf und Villefort misstrauen Monte Christo nicht, lassen sich von seinem Reichtum blenden. Sie wissen nicht, dass Edmond ihre Intrige aufgedeckt hat und zudem ein Selfmademan ist. In der Gefangenschaft lehrte ihn der Abbé Faria Natur- und Geisteswissenschaften, nach seiner Flucht aus der Festung und der Bergung des Schatzes bereiste er die Welt.

Narbe unter der Maske

Der Graf von Monte Christo ist ein Konstrukt, Edmond ein Schauspieler, der vor einer Galerie von Theaterspiegeln eine Maske aufsetzt, die ihm ein emotionsloses Aussehen verleiht. Sobald er sie absetzt, erkennt man eine Narbe unter dem linken Auge – sie steht für seine seelischen und körperlichen Qualen.

Nur Mercédès (Anaïs Demoustier) kann er nicht täuschen. Sie ist nun seit 20 Jahren die Frau von Montcerf, hat Edmond aber nie vergessen. So sind die Szenen zwischen beiden von besonders tragischer Romantik: Sie reden in Allegorien – sie voller Reue und Emotion, er voller Schmerz und der ihm eigenen Prise Selbstgerechtigkeit.

Die Verfilmung von Delaporte und de La Patellière ist nicht so verklärend wie andere Versionen des Stoffes. Pierre Niney verkörpert seine Rolle weniger selbstherrlich als Jean Marais und weniger spielerisch als Gérard Depardieu.

Er ist ein geplagter Monte Christo mit melancholischem Blick, aber auch sehr körperlich. Monte Christo taucht, schwimmt, reitet und ficht mit demselben Selbstoptimierungsdrang, den er auch geistig bewiesen hat. Im Ledermantel und mit Zylinder und Stock wirkt er modern und trotzdem mysteriös – nicht zuletzt, wenn er in voller Montur in Zeitlupe durch Gebäude und Landschaften wandelt.

Opulente Ausstattung

Das historische Abenteuerambiente des Romans bedienen die Regisseure mit Bravour. Sie hatten bereits als Drehbuchautoren im vorherigen Dumas-Blockbuster, dem Zweiteiler „Die drei Musketiere“, mitgewirkt und verstehen sich auf ihr Handwerk.

Die Ausstattung ist opulent, die Originalmusik von Jérôme Rebotier mitreißend, auch die Kameraführung unterstreicht den Willen nach großem Publikumskino. Die Kulissen wechseln zwischen der lichtdurchfluteten Provence, der malerischen Montecristo-Insel und Bildern eines mondänen, aber auch zwielichtigen Paris mit dunklen Gassen.

Etliche Einstellungen von oben verschaffen einen Überblick über weitläufige Gelände und Schlösser, während Kamerafahrten für Tiefe und Tempo sorgen. Doch während die Verfilmung der „Musketiere“ sehr um Realismus bemüht war, die Helden sich dreckig und verschwitzt präsentierten, umweht dieses Filmepos ein Hauch Jules Verne. Der Graf lebt in einem gelben Schloss mit leicht futuristischer Architektur. Auch ein Schießstand mit sich magisch öffnenden Scharten innerhalb des Prunkgebäudes zeugt von der Modernität und Technikbegeisterung des Grafen.

Tödliche Spuren

Wie ein Trüffelschwein hat Edmond in der Vergangenheit seiner Widersacher gewühlt, immer weitere ihrer Untaten aufgedeckt. Doch trotz all seiner kühlen Planung bewahrheitet sich ein anderes Bonmot: Rache ist Blutwurst, sprich, sie hinterlässt (auch ungewollte) tödliche Spuren.

In der Praxis scheitert sein Racheplan an etwas Unvorhergesehenem: den Gefühlen seiner Kompliz*innen. Seiner Ziehtochter Haydée und dem jungen André, die er aus Sklaverei und Waisenhaus befreit hat, ist von Moncerf und Villefort einst übel mitgespielt worden. Der Graf hat sie bei sich aufgenommen, sie aber zu Marionetten in seinem Rachefeldzug degradiert. Trotzdem bringen sie den Mut auf, Widerstand gegen ihn zu leisten.

So erscheint Monte Christo immer mehr als Vigilante. Für seine Rache zahlen er selbst und andere einen hohen Preis. Auch Alexandre Dumas erkannte das in seinem Roman, schlug am Ende versöhnlichere Töne an. Doch der Film erlöst seinen Helden nicht, hinterfragt seine Motive und lässt ihn am Ende als einsamen Zweifler zurück, der seine Chance auf einen persönlichen Neuanfang verspielt hat.

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1 Kommentar

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  • Wunderbar geschriebene Rezension. Danke dafür. Endlich mal eine Filmrezension ohne den inzwischen so verbreiteten ironisch, überheblichen Tonfall.



    Klasse! Gerne mehr davon.