■ Der Generalmajor als Staatsbürger in Uniform: Bedingt einsatzfähig
Generalmajor Schultze-Rhonhof, auch in dieser Hinsicht ganz Soldat, steht zu seinen Worten, trotz öffentlicher Kritik und Rapport beim Dienstherrn. Man muß ihm darob geradezu dankbar sein, ermöglicht er doch einen unverblümten Einblick in die geistige Wehrverfassung der Streitkräfte und ihrer zivilen Begleitkommandos. Der Mann hat sich auf das Feld der Sprache begeben, mit dem gleichen brachialen Ungestüm, mit dem er wohl ansonsten seine Panzer lenkt. Fintenreich meint er gewesen zu sein, als er das „Fehlurteil“ des Bundesverfassungsgerichts attackierte. Er glaubte sich vor dem Vorwurf der unzulässigen Gleichsetzung des Bundesverfassungsgerichts mit dem Volksgerichtshof dadurch gesichert, daß er deren Richtigkeit lediglich als Möglichkeit dem Vergleich eines Soldaten mit einem Mörder gegenüberstellte. Nun wäre die grammatikalische Form des Konjunktivs dann angemessen, hätte der General nicht nur recht, sondern auch den Segen des Bundesverfassungsgerichtes, wenn er sich in seiner Betroffenheit auf das beschränkt hätte, was er tatsächlich ist, ein Soldat der Bundeswehr. Nur wäre dann seine Urteilsschelte verfehlt. Daß ein Bundeswehrangehöriger des Mordens bezichtigt werden könnte, ein solcher Sinn kommt, nach Ansicht der Dritten Kammer des Bundesverfassungsgerichtes, dem Tucholsky-Zitat nicht zu. Denn als eine Tatsachenbehauptung könne kein verständiger Leser das Dichterwort verstehen. Doch Schultze- Rhonhof ist kein verständiger Leser. Er will es als Tatsachenbehauptung verstehen, daher seine Empörung. Schultze-Rhonhof ist eben nicht der „Bürger in Uniform“, dessen millionenfache Ehre er zu schützen vorgibt, er vertritt den Phänotyp Soldat, dessen Weltbild außer seinesgleichen nur noch Zivilisten kennt. Seine Getroffenheit ist von der Art, die eben keine Differenz zu jener Traditionslinie seines Standes kennt, die Tucholsky zu seinem Zitat bewegt hatte.
Nun hat das Bundesverfassungsgericht nicht, wie Schultze-Rhonhof formuliert, über die Richtigkeit der Aussage „Soldaten sind Mörder“ geurteilt, sondern es hat deren Zulässigkeit erklärt. In diesem Kontext betrachtet, bedeutet des Generalmajors Ausführung, daß die Gleichsetzung des Bundesverfassungsgerichtes mit dem Volksgerichtshof gleichermaßen zulässig sei. Ersteres besitzt Faktizität, letzteres ist, um bei Schultze-Rhonhofs Worten zu blieben, „zutiefst ehrabschneidend und absurd“. Nun mag sich das Verfassungsorgan zu Recht verunglimpft sehen, doch sollte auch dem Generalmajor die Freiheit zugesprochen werden, mit der er so sehr hadert. Die Penetranz, mit der er und seine Kampfgefährten im Geiste aus einem richtigen Urteil die falschen Schlüsse ziehen, um ein fatales Selbstbild zu verteidigen, sollte allerdings dem Verteidigungsminister Anlaß sein, intensiv über die Staatsbürgerkunde seiner Truppe nachzudenken. Denn als Staatsbürger in Uniform ist der Kommandeur nur bedingt einsetzbar. Dieter Rulff
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