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Der Gasmann und der leere Strombeutel Von Ralf Sotscheck

Das hatte sich Colm anders vorgestellt. Dabei war die Idee eigentlich nicht schlecht: Nachdem er das Reihenhaus im Norden Dublins geerbt hatte, vermietete Colm zwei Zimmer an seine Bekannten Vincent und Chris. Die beiden mußten keine Miete zahlen, dafür aber das Haus in Schuß halten und kleinere Reparaturen erledigen, denn sie konnten im Gegensatz zu Colm einen Schraubenschlüssel von einem Schuhlöffel unterscheiden.

Zunächst ging alles gut. Colm ging jeden Morgen zur Arbeit in die Bank, während Vincent und Chris am Haus herumbastelten, denn sie waren arbeitslos. Weil sie jemanden bei den Gaswerken kannten, hatten sie einen zweiten Zähler besorgt, den sie in Colms Haus einbauten. Alle zwei Monate, bevor der Gasmann zum Ablesen kam, schraubten sie den Originalzähler wieder an. So kochten und heizten sie praktisch zum Nulltarif.

Nachdem sie die Fußbodenbretter ausgebessert, die Wände gestrichen, das Badezimmer gekachelt und die Elektroleitungen erneuert hatten, fanden Vincent und Chris, daß sie sich nicht nur freie Miete, sondern auch ein paar Pfund Lohn verdient hätten. Colm war anderer Meinung. Abends kam es zum Streit, und alle gingen wütend ins Bett.

Colm war am nächsten Morgen noch müde, als er sich hastig auf den Weg zur Bank machte und die Haustür hinter sich zuwerfen wollte. Sie war weg. Vincent und Chris hatten sie als Geisel genommen und auf einem Zettel fünfzig Pfund in bar als Lösegeld gefordert. Colm saß in der Tinte. Ohne Tür konnte er nicht zum Geldautomaten, weil man ihm in der Zwischenzeit womöglich das Haus leergeräumt hätte, und ohne Geld bekam er die Haustür nicht zurück. Da er kein Telefon hatte, konnte er nicht mal Hilfe herbeirufen.

Zu allem Überfluß tauchte auch noch der Gasmann auf. Colm wollte zuerst so tun, als sei niemand zu Hause, doch ohne Eingangstür war dieser Trick von vornherein zum Scheitern verurteilt. Nun galt es, ihm den Zugang zum falschen Zähler zu verwehren, da der Gasdiebstahl aufgrund des Zählerstands unweigerlich aufgeflogen wäre.

Colm baute sich breit in der Eingangstür auf und erklärte dem verblüfften Gaswerksangestellten, daß das gesamte Haus wegen eines gemeingefährlichen Stromlecks gesperrt sei. Warum er nicht einfach die Hauptsicherung herausschraube, wollte der verhinderte Zählerableser wissen. Zu gefährlich, erklärte Colm, selbst die Sicherungen stünden unter Hochspannung. Der Gasmann bot an, mit seinem Handy beim Elektrizitätswerk anzurufen. „Um Gottes Willen“, schrie Colm, „schalten sie das Ding bloß nicht ein, sonst fliegt hier alles in die Luft.“

In diesem Augenblick tauchten Vincent und Chris auf, schoben den entsetzten Colm zur Seite und gingen ins Haus. „Na sowas“, meinte der Gasmann sarkastisch, „das Leck scheint versiegt zu sein. Wahrscheinlich ist der Strombeutel leer.“ Dann marschierte er zum Zähler im Flur, schrieb sich den Stand auf und zog kopfschüttelnd von dannen. Vincent und Chris standen feixend in der Küche. Sie hatten in der Nacht den falschen Zähler ausgetauscht, bevor sie die Haustür kidnappten.

Colm wohnt jetzt wieder alleine. Aber mit Haustür und amtlich geprüftem Gaszähler.

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